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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)
Autoren: Ju Honisch
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nahm ihm die Krone aus den Händen und setzte sie ihm auf. Dann verneigte sie sich erneut.
    » Hra-Esteron. Der Sieg ist dein, das Land ist dein, so soll es sein. «
    Alle Tyrrfholyn neigten ihre Hörner gen Boden, Ra-Yurich und Re-Gyurim ohne Unterschied.
    » Hrya-Enygme. Verschluckt von der Flut, berührt von der Glut, gerettet durch Lieder. Der Retter kommt wieder. «
    Die Reihen der Nymphen öffneten sich, und aus der Dunkelheit trat Kanura, neben ihm ein rothaariges Mädchen. Sie waren beide tropfnass. Sie kamen durch die Gasse von blauen Wesen auf Esteron und Enygme zu. Das Mädchen musste Irenes Tochter sein. Sie sah krank aus, war blutverschmiert und unsicher auf den Beinen. Kanura stützte sie. Sie hatte sich dicht an ihn geschmiegt.
    Sowohl Enygme, als auch Esteron hielten an sich, nicht einfach den beiden entgegenzurennen. Die Nymphen hatten diesen Augenblick zu einer hohen Zeremonie gemacht.
    » Kanura! « , flüsterte Enygme.
    » Una! « , sagte Esteron, der nicht wollte, dass das Menschenmädchen sich nicht willkommen fühlte.
    Weitere Nymphen traten hinzu, und auch sie waren nicht allein.
    » Irene! « , flüsterte Esteron.

Kapitel 102
    Ein Prinzessinnenkleid. Es sah aus, als wäre es aus Regenbogen gesponnen, schimmerte changierend hell auf einem Hintergrund von Gewitterblau. Das Dekolleté war tief, und doch versteckte eine Zierborte der filigransten Spitze, die Una je gesehen hatte, geradezu zärtlich das, was sonst schon fast zu nackt gewesen wäre. Die Ärmel schlossen mit der gleichen Klöppelarbeit ab. Nach hinten verlängerte sich der weit ausladende Rockteil zur Schleppe. Das Kleid war ein Kunstwerk ersonnen von Traumwerkern. Man hatte es für Una kürzer machen müssen, denn es war ursprünglich nicht für eine kleine Menschenfrau gedacht gewesen.
    Una, die sonst hauptsächlich Jeans, T-Shirt und vielleicht noch einen Hoodie trug, wusste nicht, ob sie das prächtige, voluminöse Gewand an sich schön oder vielleicht doch ein ganz klein wenig lächerlich finden sollte. Oder die Edelsteine im Haar. Oder die goldenen Sandalen. Aber irgendwie fand sie sich dann doch hübsch. Sie stand allein vor dem Spiegel.
    » Sissi! « , flüsterte sie und dann: » Franzl! « Sie kicherte.
    Alles für die Zeremonie. Die Friedensfeier.
    Die letzten Tage waren so voller Eindrücke und Geschehnisse gewesen, dass ihr manchmal schwindelig wurde. Sie verstand längst nicht alles, griff nach vagen Fakten wie nach Strohhalmen, versuchte sich daran festzuhalten. Die Erleichterung über ihre Rettung und die ihrer Mutter wich bisweilen einer gewissen fiebrigen Unruhe, die sie nicht näher ergründen wollte. Posttraumatisches Irgendwas vermutlich. Das würde vorbeigehen. Bestimmt würde es das. Alles war gut.
    Die Schlacht war vorüber. Der Krieg beendet. Man hatte sich in den Armen gelegen. Im Sturm großer Gefühle hatte sich Una, wie alle anderen, von Begeisterung und Liebe überwältigen lassen und war in diesen Emotionen aufgegangen, in dem Glück, das alle empfanden, in der Zuneigung, die sie umfing. Nichts hatte sie je so sehr berührt, vielleicht nicht einmal der Tod, dem sie so knapp entronnen war.
    Dann wieder dachte sie an dieses knappe Entrinnen, konnte die Erinnerung daran nicht so ohne Weiteres abstellen, war doch der Untergang zu nah gewesen. Aber die Geborgenheit, die sie so ungeheuer sanft eingehüllt hatte, fing sie immer wieder auf wie ein Wolkenbett.
    Friede. Freiheit. Heilung. Ein Ende der Angst. Und Liebe. So viel Liebe.
    Gemeinsam waren sie nach Kerr-Dywwen zurückgekehrt, das so wunderschön war, wie ein Märchenschloss nur sein konnte. Überall gab es Einhörner, große, kleine, junge, alte, Rappen, Füchse, Schecken, Schimmel. Real waren sie, keine Glitzerchimären und doch prächtig in ihrer ungeheuren Kraft und Würde. Alle mit einem elfenbeinweißen Horn – bis auf eines. Darüber sannen die Schanchoyi immer noch nach. Sie sannen gerne nach und meistens ziemlich ausgiebig. Deshalb waren sie auch noch zu keinem Schluss gekommen, was ein schwarzes Horn zu bedeuten hatte – falls es etwas zu bedeuten hatte.
    Manchmal war das alles ein bisschen viel, und sie fühlte sich wie in einem Schlauchboot auf hoher See. Sie saß dann nur da, und versuchte, all das Erlebte zu begreifen. Es war nicht einfach. Sie schob den lockeren Ärmel ihres Traumkleides nach oben und betrachtete die lange Narbe an ihrem Arm. Den Beweis dafür, was tatsächlich geschehen war. Sie hatte überlebt. Nur manchmal meinte
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