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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)
Autoren: Ju Honisch
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schwachen weiblichen Wesens. Kanura bekam den Hals des Angreifers zu fassen und drückte zu. Ein Tritt traf sein Schienbein mit einer Heftigkeit, dass er vor Schmerz aufzischte. Gleichzeitig schob er das Gefühl, man hätte ihm gerade das Bein zertrümmert, weit von sich. Wenn er jetzt seinem Schmerz nachgab, war er verloren.
    Kanura holte mit dem Kopf aus und konzentrierte sich. Noch während er die Stirn nach vorne stieß, versuchte er sich zu wandeln. Es mochte eine dumme Entscheidung sein, aus Not und blinder Wut geboren, denn während der Wandlung von einem Zustand in den anderen gab es immer jenen Zwischenzustand, während dessen man weder Mensch noch Einhorn war, nur hilflos im Übergang hing.
    Doch er wollte sich die Kraft zunutze machen, über die er in seiner Einhorngestalt verfügte. Und wenn er nicht alles versuchte, würde er sterben. Er wusste zu wenig über den Feind, um sich eine Erfolg versprechende Taktik zu überlegen. Er konnte sich nur wehren – auch wenn das nicht genug war.
    Denn es war auch für Edoryas nicht genug gewesen. Hätten sie nur den Gesängen und Erzählungen der Schanchoyi mehr Aufmerksamkeit geschenkt, anstatt wild über die Weiden zu jagen und sich mit Eryennis oder anderen jungen Stutenmädchen zu vergnügen. Nun war es zu spät.
    Die Hilflosigkeit des Wandels hielt ihn gefangen. Noch nie waren ihm die Sekunden zwischen menschlicher und Einhorngestalt so lang vorgekommen; sie streckten sich dahin und machten ihn taub für seine Umwelt. Wie endlos auch nur ein Augenblick sein konnte, hatte er nie geahnt. Auch nicht, wie viele Möglichkeiten des Versagens einem durch den Kopf schießen konnten, während man von einer Gestalt zu nächsten wechselte. Er spürte bereits die langen Zähne in seiner Kehle, während sein Hals von einem hautbedeckten Menschenhals zu einem fellbedeckten Einhornhals wurde. Dann, plötzlich, änderte sich seine Wahrnehmung, und er holte erneut mit dem Kopf aus und stieß zu.
    Ein widerliches Geräusch drang an seine Ohren, die er sofort flach nach hinten anlegte. Es war der Klang von reißendem Fleisch, von berstenden Knochen und von einem Schrei, den er aus seinem eigenen Maul zu kommen wähnte.
    Er riss seine Augen weit und panisch auf. Der Schrei verklang. Mit Verspätung begriff er, dass es zwei Schreie gewesen waren, seiner und der des Gegners.
    Kanura lag auf der Seite. In seiner Einhorngestalt war das unangenehm, und so versuchte er, auf die Hufe zu kommen. Doch es ging nicht, etwas hielt ihn nieder. Er versuchte, den Kopf zu heben. Auch das ging nicht. Er konnte ihn weder heben noch drehen.
    Er saß fest. Hilflos schlugen seine Hufe in die Luft. Er versuchte, sich herumzuwälzen. Noch während er sich zu befreien versuchte, sah er, was geschehen war. Er hatte den Kopf des Wasserwesens durchbohrt. Mit seinem Horn, das sich gebildet hatte, während er sich gewandelt hatte. Als er mit dem Kopf zugestoßen hatte, hatte er mit seinem Horn den Feind durchbohrt, für ihn selbst so unerwartet wie für seinen Gegner.
    Dieser Gegner sah nun endgültig nicht mehr aus wie eine schöne Nymphe. Vielmehr stak Kanuras Horn in dessen breiter Stirn, als gehörte es zur Hälfte ihm. Dabei hatte das Wesen selbst zwei lange Hörner, eines links und eines rechts oben am Schädel. Sie waren spitz und lang.
    Kanura schrie. Erst jetzt spürte er den Schmerz. Sein Horn war zwar eine Waffe, doch es war auch das Zentrum seiner Magie – der Fokus des Seins der Tyrrfholyn, der Sitz ihrer Macht.
    Nun war es zum Schwert geworden, hatte harte Knochen durchbrochen, Gehirnmasse gespalten, war in der Wirbelsäule stecken geblieben – und er spürte all das mit einer wahren Flut von Sinneseindrücken.
    Erneut hub Kanura an, zu schreien, diesmal aus schierem Schmerz. Er gab sein nutzloses Drehen und Treten auf und lag einige Augenblicke lang reglos da, sann nur darauf, wie er sich befreien konnte. Wie ein Felsklotz hing sein toter Feind an seiner Stirn, schwer und unbeweglich. Noch einmal sah Kanura ihn an. Wie ein Pferd sah er aus, muskulös, schwarz-grau gesprenkelt, aber gänzlich haarlos. Glatt-glitschige Lederhaut überzog den kräftigen Körper. Die Lippen und Nüstern waren zurückgezogen, als würde er die Zähne fletschen.
    Kanura schnaubte wütend und zog seinen Kopf erneut zurück. Doch anstatt sich zu lösen, zog das Horn lediglich den Kadaver des Feindes mit sich. Es war schmerzhaft, denn das Blut und das Gehirn des Uruschge waren kalt, und die Knochen, die das Horn
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