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Die Quelle

Die Quelle

Titel: Die Quelle
Autoren: Uwe Schomburg
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Prolog
    Frühsommer 2016
    »Hau ab. Sie kommen. Leb wohl.«
    Mit dieser letzten SMS hatte der alte Bock das Jungwild gewarnt.
    Abeking kaute nachdenklich auf dem kalten Zigarrenstumpen und musterte mitleidlos den toten Körper auf dem Stuhl vor dem Kamin.
    Kein Wunder, dass seine Leute in der Jagdhütte, die eine halbe Autostunde von hier in einem kleinen Waldstück lag, nur noch Spuren der Flucht gefunden hatten.
    Das Versteck musste neu sein.
    Sie hatten beide hier vermutet, den alten Bock und das Jungwild.
    Niemand sonst schien von der Jagdhütte zu wissen. Er erinnerte sich auch an keinen Hinweis in den Abhörprotokollen.
    Hätte er trotzdem damit rechnen müssen?
    Wild war scheu und vorsichtig, dachte Abeking und biss erneut auf den Zigarrenstumpen.
    Er las die Nachricht immer wieder. Der alte Bock hatte ihn hingehalten, Zeit geschunden, dem Jungwild die Minuten zur Flucht verschafft.
    Und dann war der Alte einfach mit ein paar Zuckungen abgetreten, gerade als er hatte anfangen wollen, ihn richtig auszuquetschen.
    Schlaganfall, Herzinfarkt. Was auch immer.
    Der tote Körper hing schlaff in der Fesselung. Die Totenstarre würde erst einsetzen, wenn die Zuckerreserven der Muskeln aufgebraucht waren. Vom Kiefer aus würde sie schleichend den ganzen Körper erfassen.
    Der Kopf hing seitlich nach unten. An Hals und Nacken, aber auch an den hängenden Händen sah er die ersten Boten der biologischen Verrottung. Grau-violette Leichenflecken, die von Minute zu Minute größer wurden und ineinander übergingen.
    Hier gab es nichts mehr für ihn zu tun.
    Er steckte das Handy des Toten ein, holte sein eigenes heraus und tippte ein einziges Wort: Crash.
    Einen Moment zögerte er, dann schickte er die SMS ab.
    Es war so, wie es war.
    Schließlich steckte er den kalten Zigarrenstumpen in seine Jackentasche, auch wenn er ihn am liebsten auf den Boden geworfen hätte.
    Heute war das junge Wild entkommen.
    Doch helfen würde es ihm nicht.
    ****
    FORSCHUNGSLABOR
    Plötzlich war da der erlösende Schrei.
    Und gleich darauf stimmten die anderen ein.
    Kami-Passang hörte die Rufe durch die gläserne Trennwand.
    Er sah hinüber auf die Bildschirme im Kontrollraum, wo sein Team die Sektkorken knallen ließ.
    Ursache des Jubels waren die Bilder auf Bildschirm zwei.
    Die Schaufelräder der Turbine setzten sich in Bewegung, angetrieben vom hereinströmenden Wasserdampf.
    Das winzige Kameraauge, das eigens im Innern der Turbine installiert worden war, übertrug das gestochen scharfe Bild auf den Monitor im Kontrollraum, wo die Wissenschaftler auf genau diesen Moment gewartet hatten.
    Der euphorische Jubel schwoll an, als eine weitere Kamera auf dem dritten Bildschirm zeigte, wie der Generator arbeitete.
    Kami-Passang warf einen Blick auf den ersten Bildschirm. Er zeigte den hermetisch abgeschlossenen und zu zwei Dritteln mit Wasser gefüllten Druckbehälter. Von der glatten Wasseroberfläche stieg Dampf auf, füllte das obere Drittel.
    Dort, im über zehn Meter hohen Reaktorschacht des gut fünfzig Meter hohen Kraftwerkblocks, geschah das Unmögliche. Bislang hatte dieser zu Übungszwecken gebaute und nie in Betrieb gegangene Siedewasserreaktor Technikern aus anderen Kraftwerken als Trainingsstätte gedient, in der sie alle Teile aus der Nähe und ohne Schutzanzüge begutachten konnten. Doch nun, nach dem eiligen Ausbau der alten Technik, schrieben sie Geschichte hinter den anderthalb Meter dicken Stahlbetonwänden.
    Kami-Passang sah erste Blasen als Beweis des nahezu kochenden Wassers. Die neuartige, unvorstellbare Energie bestand gerade ihren ersten Großversuch.
    »Zufrieden?«
    Er löste den Blick von den Monitoren und wandte sich seinem Besucher zu.
    »Es ist  die  Sensation. Der Beweis ist erbracht. Im Großversuch.«
    »Trotzdem wirken Sie sehr nachdenklich. Warum?«
    Kami-Passang musterte seinen Aufpasser. Dessen Uniform erinnerte ihn schmerzlich daran, dass er hier nicht Herr im Hause war, sondern nur Gast.
    »Ich bin nicht derjenige, der es erfunden hat.«
    »Skrupel?« Der Uniformierte lachte auf. »Wir hätten auch eines der anderen Teams nehmen können, um das hier zu ›erfinden‹. Seien Sie froh, dass die Wahl auf Sie gefallen ist. Ihr Name wird in die Weltgeschichte eingehen.«
    »Mit einer Lüge.«
    »Wen wird das kümmern? Seien Sie froh, dass mit dem Namen eines ehemals halbblinden nepalesischen Waisen eines der neuen Weltwunder verbunden wird.«
    Kami-Passang sah wieder in den Kontrollraum, in dem sein Team mit den
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