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Die Quelle

Die Quelle

Titel: Die Quelle
Autoren: Uwe Schomburg
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der Kopf hervorlugte.
    »Nicht bewegen! Verstehen Sie mich? Sie bleiben einfach liegen! Schließen Sie einmal kurz die Augen, wenn Sie mich verstehen!«
    Der Mann schloss die Augen und öffnete sie dann wieder.
    »Gut. Sie können sich gleich ausruhen! Aber eines müssen wir vorher klären - treiben da draußen noch mehr Menschen im Wasser? Wenn ja, dann lassen Sie die Augen offen, wenn nein, dann schließen Sie die Augen kurz und öffnen sie dann wieder!«
    Erleichtert sah er, wie der Gerettete erneut die Augen schloss und wieder öffnete. Benn wandte sich Francesca zu.
    »Wir dürfen ihn nicht warm reiben! Und er darf jetzt auch noch nichts Heißes zu trinken bekommen! Er muss erst von selbst wieder warm werden.«
    Benn konzentrierte sich wieder auf den Mann.
    »Und Sie bewegen sich nicht! Jede Muskelkontraktion transportiert Ihr kaltes Blut von außen nach innen, saugt die Wärme aus dem Körperkern. Die Folge ist Herzkammerflimmern, vielleicht sogar Herzstillstand.«
    Unterkühlungen waren tückisch. Die Kälte wanderte zeitversetzt von außen nach innen. Und wenn die Haut zu schnell erwärmt wurde, dann weiteten sich die Adern und verschluckten große Blutmengen, die dann im Körperkern, im Gehirn, im Herz, in den Nieren fehlten. Retter, die das nicht beachteten, konnten den Unterkühlten mit dem Wiedererwärmungsschock erneut in eine lebensbedrohliche Lage bringen.
    »Er hat Glück gehabt«, sagte Benn und beobachtete weiter den am ganzen Körper zitternden Mann. Die Blutgefäße verengten sich, dachte Benn, um die Wärmeabgabe über die Haut zu vermindern. »Zittern ist die schwächste Form des Körpers, Wärme zu produzieren. Er kann nicht allzu lange im Wasser gewesen sein, und er scheint eine recht gute Kondition zu haben.«
    »Wie lange kann man so ein Wasserbad überleben?«, fragte Francesca. »Ich habe noch nie jemanden so heftig zittern sehen.«
    »Das ist bei jedem anders. Viele Unwägbarkeiten. Aber er ist jung.« Benn schätzte den Mann etwas jünger als sich ein, auch wenn die leichenblasse Haut ihn viel älter erscheinen ließ. »Allgemein sagt man: Bei fünfzehn Grad Wassertemperatur gibt es eine Überlebenschance von bis zu vierundzwanzig Stunden, bei zehn Grad von bis zu sechs Stunden, bei fünf Grad von maximal drei Stunden.«
    »Das ist ja sehr exakt, dein ›bis zu‹.«
    »Francesca ... bei Unterkühlung gibt es keine Eindeutigkeit. Man kann auch in dreißig Minuten tot sein. Die körperliche Verfassung ist entscheidend!«
    »Und wie kalt ist die Ostsee?«
    »Ich schätze, nicht weniger als zwölf, aber auch keine fünfzehn Grad.«
    Benn drehte sich um und fingerte an dem wasserdichten Beutel herum, der mit einem reißfesten Plastikband an einer der Ösen der Rettungsweste befestigt war.
    Er riss den Beutel auf und holte die verpackten Gegenstände heraus. Handy, Personalausweis, Kreditkarte, Geldscheine, ein Schlüsselbund. Er schaute auf den Ausweis.
    »Rainer Kemper heißt unser Seepferdchen.« Er wandte sich wieder dem Geretteten zu. »Sie müssen durchhalten. Auch wenn Sie müde sind - nicht einschlafen! Nachher bekommen Sie einen lauwarmen Tee mit viel Zucker. Damit kommt Ihre Körperheizung wieder in Schwung. Durchhalten! Sie schaffen das!«
    Benn sah wieder auf den Beutel.
    Seltsam. Es wirkte so vorbereitet.

Kapitel 4
    N ÄCHTLICHE   O STSEE
     
    Benn eilte zum Steuerstand, griff sein Handy und wählte die gespeicherte Nummer, mit der er die deutsche Seenotrufzentrale in Bremen erreichte.
    »Bleiben Sie ruhig, alles der Reihe nach«, sagte eine männliche Stimme, als die Worte aus Benn heraussprudelten.
    Es ist verrückt, dachte Benn. Da lebst du dein ganzes Leben an der See, betreibst einen Bootsverleih, schipperst Leute über die Ostsee und hast noch nie einen Seenotruf absetzen müssen.
    »Sie sind nervös - ich stelle die Fragen, und Sie antworten mir einfach. Einverstanden?«
    »Einverstanden«, erwiderte Benn.
    Die männliche Stimme fragte nach und nach die Informationen nach einem Muster ab. Schiffsname, Standort, was passiert war, wer anrief, ob weitere Personen in Seenot waren.
    »So, und jetzt zu dem Schiffbrüchigen.«
    Benn nannte Kempers Namen und die Daten vom Ausweis, dann beschrieb er dessen Zustand.
    »Kennen Sie sich mit Unterkühlungen aus?«
    »Ich weiß so ungefähr, was zu tun ist.«
    »Sagen Sie es mir.«
    Benn ratterte herunter, was er wusste.
    »Sie kennen sich wirklich gut aus«, sagte die Stimme anerkennend. »Tun Sie all das, was Sie eben gesagt haben,
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