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Die Quelle

Die Quelle

Titel: Die Quelle
Autoren: Uwe Schomburg
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Heck zu sitzen und über die nächtliche Ostsee zu segeln. Wir haben weder Signalstifte noch eine Signalpistole an Bord. Und die UKW-Anlage funktioniert auch nicht.«
    Benn lachte beruhigend. »Wir haben Positionslichter gesetzt und Radar.«
    »Sind das mehrere Boote?«, fragte Francesca und deutete auf den Radarbildschirm.
    Nördlich der Insel Greifswalder Oie schienen mehrere Signale auf engstem Raum miteinander zu verschmelzen.
    »Schwer zu sagen. Mal sehen.«
    Das Radarbild erfasste im Moment einen Zwölf-Seemeilen-Radius und ging über die Insel nach Süden hinaus. Benn verringerte die Größe des dargestellten Gebietes. Dafür wurde der abgebildete Bereich detaillierter sichtbar.
    Als Nächstes schaltete er die Echoverlängerung ein, womit er die schwachen Zielechos künstlich verlängerte. Die Radarechos von Zielen in weiterer Entfernung verloren deutlich an Intensität. Ein zwei Seemeilen entferntes Ziel lieferte ein 16-fach schwächeres Echo als ein Ziel in einer Seemeile Entfernung. Die Echoverlängerung verstärkte die eingehenden Signale und zeigte sie deutlich besser auf dem Bildschirm an.
    »Ein paar Nachtschwärmer, aber alle sind weit genug weg.«
    »Dann komm, Seewolf, lass uns rausgehen. Aber nicht zu lange.« Sie lachte angespannt. »Bald habe ich es hinter mir. Ich friere jetzt schon.«
    Francesca und Benn setzten sich am Heck auf die Steuerbordbank. Benn hielt das Boot mit der Ruderpinne, die unmittelbar vor dem Heckausstieg im Boden eingelassen war, auf Kurs.
    »Das kann man aber nicht Segeln nennen, oder?« Francesca starrte auf das Großsegel, in dem sich kaum Wind verfing. »Diese Windstille ist mir zwar viel lieber als stürmisches Wetter, aber unter Segeln habe ich bisher etwas anderes verstanden: Boote, die mit geblähten Segeln auf einer Seite tief im Wasser liegen, die Gischt spritzt nur so, und irgendwelche attraktiven Typen hängen in Seilen halb über Bord.«
    »So kann es auch sein. Aber ich kann nichts für die Flaute.« Benn bewegte leicht die Ruderpinne. »Und trotzdem genieße ich es ... Horch!«
    Die See gurgelte und schmatzte, kleine Wellen platschten an die Bootswand, und die Takelage knarrte in einem geheimen Rhythmus.
    »In solchen Momenten kann ich vollkommen abschalten. Die Weite und Einsamkeit ...«
    Ein Geräusch ließ ihn aufhorchen. Ein Schnaufen und Ächzen war zu hören, als überanstrenge sich jemand - oder etwas - kolossal.
    Es kam aus dem Wasser am Heck.
    »Hörst du das auch?«, flüsterte Francesca und packte Benn fest am Arm.
    Benn nickte. »Psst.«
    »Das ist nicht das Meer! So hört sich doch kein Wellengang an!« Sie verstärkte den Druck ihrer Hände. »Benn - was für ein Tier ist das?«
    »Ich weiß nicht, was es ist.« Er lauschte in die Dunkelheit. Nur die Takelage knarrte leise. »Oder war.«
    Benn drehte sich zu Francesca, die ihn mit weit aufgerissenen Augen ansah. Er griff nach ihrer Hand, die sich immer noch um seinen Unterarm krampfte.
    »Es gibt hier nichts, vor dem wir uns fürchten müssen.«
    Kaum hatte er seine Worte beendet, drang wieder dieses unheimliche Schnaufen und Ächzen herbei.
    Es stammte tatsächlich vom Meer.
    »Es kommt aus dem Wasser!«, rief Francesca.
    Benn starrte fassungslos auf den offenen Heckausstieg, der nur knapp über der Wasserlinie lag.
    Dort wühlte sich plötzlich ein Körper mit einer heftigen Anstrengung ins Boot. Er fiel mit der Brust auf den Deckboden, während die Beine noch im Wasser strampelten.
    Die Finger an den vorgestreckten Armen waren zu Krallen gebogen und krampften sich auf dem Bootsboden zusammen.
    Sie suchten Halt, den sie auf dem glatten Deck aber nicht fanden. Langsam und unerbittlich rutschte der Oberkörper zurück in die See.
    Ein einziger, tiefer und langer Schrei drang aus dem Körper.
    Die angsterfüllten Augen in dem fahlen, leichenblassen Gesicht waren weit aufgerissen. Benn hatte noch nie einen so flehenden Blick gesehen.
    Eine kleine Welle hob das Bootsheck leicht an, und der Körper rutschte wieder ein paar Zentimeter auf den Deckboden nach vorn. Für einen Moment sah es aus, als bliebe er regungslos liegen, doch dann glitt er mit dem absackenden Bootsheck wieder tiefer ins Wasser.
    Benn sprang auf, beugte sich nach vorn und wollte die Arme des Mannes packen. Das Boot krängte, und Benn griff daneben. Er verlor sein Gleichgewicht und stürzte selbst auf das Deck.
    Der Körper neben ihm rutschte wieder ins Meer. Zentimeter um Zentimeter. Die verkrampften Hände öffneten sich, streckten
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