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Die Pyramide: Im Zeichen des Orion (German Edition)

Die Pyramide: Im Zeichen des Orion (German Edition)

Titel: Die Pyramide: Im Zeichen des Orion (German Edition)
Autoren: Ingrid Müller
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Metastasen. Erneut musste ich operiert werden und erneut erhielt ich eine Chemotherapie. Die Brustamputation war ein großer Schock für mich, aber die Ärzte sagten mir, dass es inzwischen neue wirksame Medikamente gäbe, die nicht so starke Nebenwirkungen wie die alten hätten. Ich vertrug die Chemo wesentlich besser als beim ersten Mal, obwohl meine Haare wieder ausfielen. Das Mittel schien aber die im Körper vorhandenen Tochtergeschwülste eingedämmt zu haben, denn ich lebe seitdem fast schon zwei Jahre lang, zwar in ständiger Angst vor einem Rückfall, aber auch mit Hoffnung. Wir waren sogar tatsächlich noch einmal in Irland, aber es war wohl für alle Beteiligten eine große Enttäuschung. Moritz ist jetzt 15 Jahre alt. Sein alter Freund Kevin lebte nicht mehr im Ort. Er hatte eine Stelle in der Nähe von Dublin. Moritz langweilte sich, und ich hatte das Gefühl, dass sich die Welt um mich herum in Lauerstellung befand. Ich war zwar noch da, aber man hatte mich abgeschrieben. Nicht, dass die Menschen meinen Tod herbeigesehnt hätten, aber sie wussten, der stand sehr nahe bevor, und so wünschten sie sich, dass sie das alles endlich hinter sich haben würden. Ich schlug daher vor, Sheila und Brian „Good-bye“ zu sagen, ein Auto zu mieten und nach Dublin zu fahren. Dort hatten wir mehr Zerstreuung als in der Einsamkeit des Cottage auf dem Felsen.
    Die irischen Freunde versuchten, bei diesem endgültigen Abschied nicht zu weinen. Merkwürdig, ich empfand keinen Abschiedsschmerz. In Wirklichkeit war ich gar nicht mehr auf dieser Erde. Ich fühlte mich leicht und glücklich. Mir konnte nichts mehr passieren. Ich würde dieses Leben bald hinter mir haben. Nur ein bisschen Angst vor den Schmerzen hatte ich, aber dafür gab es ja gute Medikamente. Als wir dann im Auto saßen und Richtung Dublin fuhren, war ich ausgelassen und fröhlich. Die Tage in der Stadt waren anstrengend, aber ich genoss sie. Ich wollte alles sehen, ich wollte in jede der urigen Kneipen und Guinness trinken. Kurt ermahnte mich ständig, mich zu schonen und nicht zu übernehmen. Ich lachte ihn aus.
     
    „Hast Du Angst, dass eine Leberzirrhose dem Krebs Konkurrenz macht?“
    Schließlich kehrten wir alle gutgelaunt mit vielen Eindrücken nach Hause zurück.
     
    Dann setzten die Schmerzen ein. Im Krankenhaus wurde festgestellt, dass ich voller Metastasen sei. Ich wollte keine neue Behandlung. Mit den Ärzten legte ich einen Fahrplan fest: Welches Medikament wann und wie viel. Ich wollte zu Hause sterben. Das hatte ich mit Kurt und unserem Sohn so besprochen. Wir erarbeiteten ein sogenanntes Schmerz management. Jeder sollte wissen, was in bestimmten Situationen zu tun sei. Über einen Port konnte die Zufuhr des Schmerzmittels je nach Bedarf gesteuert werden.
     
    Ich schreibe und schreibe, obwohl es mir unendlich schwer fällt. Aber ich will es noch zu Ende bringen. In der letzten Nacht hatte ich einen Traum:
     
    Ich stand auf einer Klippe. Es war eine tiefblaue warme Nacht. Die Luft war wie Samt. Unter mir murmelte das Meer, und dann hörte ich eine Melodie, die ein Gefühl von Glück und Frieden in mir auslöste. Die Sterne waren ganz nah und strahlten in unbeschreiblichem Glanz. Jemand stand neben mir. Er legte seinen Arm um mich, und ich fühlte mich beschützt. Ich weiß nicht, wer es war. Ich sah nicht zur Seite, aber ich wusste, dass ich Vertrauen zu ihm haben konnte. Ganz langsam schob sich die Pyramide über den Himmel. Wie lange hatte ich nicht mehr von ihr geträumt! Aber dieses Mal hatte sie nichts Bedrohliches. Sie blieb stehen, und ich hatte den Eindruck, als wolle sie mich begrüßen. Dann faltete sie sich auseinander und leuchtend und funkelnd stand vor mir das Sternbild des Orion.
     
    Mit einem Schrei fuhr ich hoch. Mühsam setzte ich mich auf die Bettkante. Ich betastete mich am ganzen Körper. Ich massierte meine Arme und Beine. Doch, ich lebte noch. Gerade hatte ich geglaubt, dass ich gestorben sei. Ich weiß, dass im Augenblick des Todes der Körper eine große Menge Endorphine ins Blut schüttet, so dass dem Sterbenden in seinen letzten Sekunden ein großes Glücksgefühl überkommt. Mein Herz raste. War das der Probelauf? Ich schleppte mich ins Bad und ließ kaltes Wasser über meine Handgelenke laufen. Lange betrachtete ich mich intensiv im Spiegel. Das Gesicht kannte ich nicht mehr. Die Augen tiefliegend, die Wangen abgemagert, die Haut wie Pergament über die Knochen gespannt. Wie schrecklich musste das für meine
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