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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim
Autoren: Mascha Vassena
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zurückgeholt.«
    »Meine Mutter?«
    Julie und Plomion traten auseinander, zwischen ihnen stand die schönste Frau, die Ruben je gesehen hatte. Es dauerte einen Moment, bis er in ihr die Dienerin mit dem verfilzten Haar erkannte, denn nun floss es golden über ihre Schultern und war so glatt und seidig wie Wasser. Ihre vormals erstarrten Gesichtszüge waren weich und lebendig, ihre hellen Augen funkelten. Ihr Lächeln war ein winziges Grübchen in ihrem Mundwinkel. Sie streckte den Arm aus und legte ihm ihre Hand auf die Wange. Von der Stelle, wo sie ihn berührte, breitete sich Wärme in seinem Körper aus, und erst jetzt nahm er wahr, dass er sich seltsam kalt anfühlte. Als hätte er im Schnee gelegen.
    » Maman. «
    »Das bin ich.« Ihr Lächeln dehnte sich kaum merklich aus. Sie half ihm, sich aufzusetzen. Ruben runzelte die Stirn. Etwas schien an seinem Rücken zu hängen. Er zuckte mit den Schultern, um es abzuschütteln und hörte es rascheln, doch das eigenartige Ziehen verschwand nicht.
    »Was ist da an meinem Rücken?«, fragte er.
    Julie räusperte sich. »Dir sind Flügel gewachsen.«
    »Los, probier sie mal aus!«, sagte Fédéric grinsend.
    Ruben glaubte es erst, nachdem er einen Blick über seine Schulter geworfen und das Gefieder gesehen hatte. Julie erklärte ihm, was geschehen war.
    »Ich habe Flügel!«, sagte er fassungslos. Dann spannte er die Rückenmuskeln an und mit einem Rauschen spreizten sich seine Schwingen. Sie waren beinahe schwarz und besaßen einen metallischen Schimmer. Nach einigen Versuchen gelang es ihm, sie vor und zurück zu bewegen, und er fühlte, welch enorme Kraft in ihnen steckte.
    »Du hast dich verwandelt«, sagte Rhea, seine Mutter. »Du bist zu Andipalos geworden. Alle Seraphim werden dich als ihren Anführer anerkennen.«
    Ruben wurde flau im Magen, als er das hörte. »Was wird denn vom Anführer der Seraphim erwartet?«, fragte er vorsichtig, während er die Beine vom Altar schwang.
    Rhea nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und blickte ihm in die Augen. Ruben sog ihren Duft ein, um ihn nie wieder zu vergessen.
    »Dank dir werden die Seraphim ihre Vergangenheit endgültig hinter sich lassen können und in ein neues Zeitalter aufbrechen. Du hast die Möglichkeit, das zu tun, was dein Vater verhindern wollte: uns Unsterbliche mit den Menschen zu vereinen.«
    Ruben erschrak. »Das will ich ja gerne«, sagte er. »Aber ich weiß nicht, ob ich das kann.«
    »Dessen bin ich mir sicher. Deine Schwester wird dir zur Seite stehen.« Rhea ließ ihn los und er machte einen Schritt vorwärts. Die Flügel zogen ihn nach hinten, aber mit einiger Mühe gelang es ihm, sie so anzulegen, dass sie ihn nicht allzu sehr behinderten.
    Rhea sah ihn noch immer aufmerksam an, und er richtete sich auf.
    »Ich werde dich nicht enttäuschen, Mutter«, sagte er mit seiner neuen, ungewohnten Stimme.
    »Damit ist meine Aufgabe erfüllt«, sagte sie.
    Ihre Stimme klang matt, sie schwankte, nur durch reine Willenskraft hatte sie sich aufrecht gehalten. Rasch legte Ruben einen Arm um sie, während Julie an ihre andere Seite sprang, um sie zu stützen.
    Sie brachten Rhea in den Saal, in dem Ruben Cal zum ersten Mal begegnet war, und halfen ihr, sich auf einen Diwan zu legen. Die Erschöpfung ließ sie älter erscheinen, und sie wirkte mehr wie eine Mutter, was Ruben gefiel. Als sie lächelte, erschienen feine Fältchen um ihre Augen.
    »Meine Kinder«, sagte sie leise und ergriff je eine Hand von Ruben und Julie, die bei ihr saßen. »Alles ist gut, nun kann ich mir erlauben, Gefühle zu haben. Ich habe so gehofft, dass ich euch wiedersehen würde.«
    »Ich auch.« Ruben drückte ihre Hand. »Ich habe immer von dir geträumt, obwohl ich nicht wusste, wie du aussiehst.«
    »Ich dachte, eine andere Frau wäre meine Mutter«, sagte Julie. »Ein Cherub hat sie umgebracht.«
    »Gabrielle Lagarde, nicht wahr?«, sagte Rhea. »Ich kannte sie nicht, Louis-Philippe hat deine Pflegeeltern ausgewählt, er war eng mit ihnen befreundet.«
    »Wer ist Louis-Philippe?«, fragte Julie.
    Rhea nickte zu Plomion hinüber, der sich in einem Sessel niedergelassen hatte. »Der Comte d’Ardevon. Er hat euch weggebracht in jener Nacht, als euer Vater den Verstand verlor. Es ist gut, dass Kronos kein Unheil mehr anrichten kann.«
    »Trotzdem fühle ich mich schrecklich«, sagte Ruben.
    Rhea drückte seine Hand. »Manchmal muss man Schreckliches tun, um noch Schrecklicheres zu verhindern.« Ihre Stimme klang schwach und sie
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