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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim
Autoren: Mascha Vassena
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diejenigen kümmern, die sie vielleicht noch retten konnte.
    Sie brauchte eine Waffe. Ihr Blick fiel auf den Opferdolch, der noch in Rubens Brust steckte. Sie musste über den Erzengel steigen, um an den Altar heranzukommen. Ruben, der noch immer rücklings auf dem Altar lag, schien zu schlafen, nur sein Gesicht war sehr blass. Julie hob die Hände, aber sie zögerte, sie um den Dolchgriff zu legen. Zitternd atmete sie ein, fasste den Griff und zog daran. Er saß fest. Sie wimmerte und drehte den Kopf zur Seite, während sie an der Waffe rüttelte, die sich wahrscheinlich an einer Rippe verkeilt hatte. Endlich glitt die Klinge heraus, gefolgt von einem Schwall von Blut, der Rubens weißes Hemd tränkte.
    Ein lautes Krachen ließ sie den Kopf wenden. Dazaar war wieder bei Bewusstsein, schleuderte mehrere Kirchenbänke von sich und erhob sich in die Luft, um sich auf Alis zu stürzen. Das Kalokardos stieg ebenfalls auf, weitaus eleganter als der Cherub. Der dunkle und der helle Körper prallten in der Luft aufeinander, und in dem Wirbel aus Schwingen und Klauen war unmöglich auszumachen, wer die Oberhand hatte.
    Die rothaarige Seraph, die noch nichts von Cals Tod wusste, schickte eine Feuerschlange über den Boden, genau auf Plomion zu, der soeben den Herzkristall auswickelte, um ihn in die Halterung der Kristallkanone zu setzen. Julies Schrei ließ ihn aufblicken. Er warf sich zur Seite, doch dabei entglitt ihm der Kristall. Funkelnd wie ein Stern flog er hoch, beschrieb einen Bogen und als er den höchsten Punkt seiner Flugbahn erreicht hatte, sprang Fédéric mit ausgestreckten Armen vor. Er achtete nicht darauf, dass die Feuerschlange sein Hemd ansengte, und Julie war sicher, dass er den Kristall auffangen würde. In diesem Moment sprang das Kirchenportal auf, ein Windstoß fegte herein, und mit ihm etwas, das sich so schnell bewegte, dass Julie nicht erkennen konnte, was es war. Die Gestalt raste den Mittelgang entlang auf Fédéric zu und prallte mit solcher Wucht gegen ihn, dass er wie von einer Kanonenkugel getroffen rückwärts geschleudert wurde.
    Der Herzkristall fiel noch immer, doch Fédéric war nicht da, um ihn aufzufangen. Statt seiner stand dort nun Nicolas. Als wäre der Kristall nur ein Apfel, fing er ihn elegant mit einer Hand. Er wandte sich Julie zu und lächelte, und einen Moment lang hoffte sie, er würde ihr den Stein bringen. Doch seine Augen glitzerten kalt. Er war entsetzlich in seiner Schönheit, und sie erkannte, dass sie ihn endgültig verloren hatte.
    Nun wurde sie auf die Comtesse aufmerksam, die sich dem Erzengel genähert hatte. Mit einem verächtlichen Geräusch stieß sie ihn mit der Schuhspitze an und wandte sich an Glaukos: »Du Idiot! Der Junge sollte leben!«
    Glaukos’ Blick schweifte zwischen den beiden reglosen Körpern hin und her. »Aber er hat Kronos getötet!«
    »Und wer soll uns nun das Tor öffnen?« Die Comtesse wandte sich von Glaukos ab, der blitzschnell auf einen der Seitenausgänge zustrebte. Perses, der Kahlköpfige, folgte ihm still.
    Die Comtesse bemerkte nichts davon. »Wir finden einen anderen Weg. Aber wo ist der Dolch?«, fragte sie mit überschnappender Stimme. »Wir brauchen den Dolch, sonst war alles vergeblich! Los, sucht ihn!« Sie sah um sich, und Julie wich in die Schatten einer Säule zurück.
    Ihr Vater war tot, doch noch stand zwischen ihr und ihren Freunden eine mächtige, unberechenbare Feindin: die Comtesse. Und sie schien ein eigenes Spiel zu spielen.
    Sie sah zu Fédéric. Er lag im Mittelgang, zwischen Nicolas und dem Altar. Unter seinem Kopf hatte sich ein roter Fleck gebildet. Eiskalte Ruhe überkam sie bei diesem Anblick und sie trat hinter der Säule hervor. »Ihr könnt den Dolch haben, wenn ihr mir den Kristall überlasst!«, rief sie.
    Die Gesichter der Comtesse und Nicolas’ wandten sich ihr zu.
    Julie lag nichts an der Waffe, doch sie musste den Kristall retten.
    Nicolas kam auf sie zu, stieg über Fédéric hinweg und blieb etwa fünfzehn Schritt von ihr entfernt stehen. Wieder der eisige Glanz in seinem Blick. Julie schauderte. Etwas Böses hatte unwider ruflich von ihm Besitz ergriffen. »Was hat deine Mutter nur aus dir gemacht?«, fragte sie.
    »Sie hat mir gezeigt, wozu ich imstande bin, und sie hat mir den Schmerz genommen. Wie dumm ich war!« Nicolas warf den Herzkristall spielerisch in die Luft, und Julie streckte unwillkürlich eine Hand aus.
    »Du bekommst den Dolch, wenn du mir den Kristall gibst«, wiederholte
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