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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Autoren: Nancy Bilyeau
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saß. Hantaras kroch näher. »Es wird uns allen viel Zeit und Euch eine Menge Schmerzen ersparen, wenn Ihr mir sagt, wieso Ihr im Gefolge von Anna von Kleve hierhergekommen seid.«
    Ich wusste, dass er mir drohte. Ich hätte Angst bekommen müssen. Stattdessen sagte ich: »Guten Tag, Señor Hantaras«, und lächelte dazu.
    »Du hast ihr zu viel gegeben«, herrschte er die Frau an.
    Sie blickte zu ihrem Schoß hinunter, in dem sie eine Flasche hielt, die aussah wie eine Apothekerflasche. Auf ihrem Grund lagen schwarze Perlen.
    Die Steine der Unsterblichkeit .
    Ich kannte sie aus Edmunds Klosterapotheke. Er hatte sie unserer Wäscherin verabreicht, als diese im Sterben lag, um ihre Schmerzen zu lindern. Und später hatte er mir gestanden, dass er sie zu Pulver mahlte, um daraus eine Tinktur für sich zu bereiten. Man hatte mir dasselbe berauschende Mittel eingeflößt, das Edmund in die Abhängigkeit getrieben hatte. Die rote Blume Indiens, nannte er es.
    Irgendetwas in mir begann zu rebellieren. Das ist gefährlich, dachte ich. Wirklich? Wie konnte es gefährlich sein, wenn ich mich so voller Frieden fühlte?
    Hantaras schüttelte mich. »Los, warum wart Ihr im Gefolge von Anna von Kleve?«
    Der Druck seiner Hände schmerzte, und ich war froh darüber. Es half mir, einen klaren Kopf zu bekommen. »Ich erfülle die Prophezeiung des dritten Sehers«, sagte ich. »Aus welchem Grund sollte ich sonst in ihrer Nähe sein?« Ich räusperte mich. »Wo sind wir hier? Ihr solltet mich schleunigst zur königlichen Gesellschaft zurückbringen. Ich muss bei ihr sein, wenn sie in Greenwich mit dem König zusammentrifft.«
    »Warum habt Ihr Jacquard Rolin angegriffen?«
    Er hatte nicht »getötet« gesagt, sondern »angegriffen«. Also lebte Jacquard.
    »Ich habe mich verteidigt«, antwortete ich.
    Hantaras maß mich mit einem langen Blick. Dann schüttelte er den Kopf. »Wenn Ihr noch auf unserer Seite wärt, wärt Ihr nach Antwerpen gereist und hättet Chapuys berichtet.«
    Ich musste lachen, ich konnte nichts dagegen tun. »Jacquard sagte mir, dass Chapuys vorhatte, mich wegen Zauberei der Inquisition auszuliefern. Und da hätte ich ihm noch trauen sollen?« Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin nach Calais gereist, weil das die einzige andere Möglichkeit war, nach England zu gelangen. Ich wollte die Prophezeiung von mir aus erfüllen, ohne mich auf andere zu verlassen.«
    Ich bemühte mich, so überzeugend wie möglich zu sprechen. »Ich weiß, was ich zu tun habe. Ich verstehe die Prophezeiungbesser als jeder andere.« Doch es hörte sich an wie kindische Prahlerei.
    Hantaras schwieg. Ich war entschlossen, seinem Blick nicht auszuweichen. Vielleicht würde es mir gelingen, ihn zu täuschen.
    »Wir werden sehen«, sagte er schließlich und wandte sich Nellys Mutter zu. »Verbinde ihr den Mund und lass sie nicht aus den Augen. Gib ihr morgen nicht so viel.« Er kroch wieder in seine Ecke.
    »Und die Augen?«, fragte die Frau.
    »Sie hat uns schon gesehen. Es spielt sowieso keine Rolle.«
    Hantaras stieg aus dem Wagen. Ich hörte ihn draußen mit jemandem sprechen, vielleicht mit einem Wachposten. »Wir können sie erst töten, wenn es erledigt ist«, sagte er.
    Sie wollen mich töten , dachte ich. Ich muss mich retten .
    Der Wagen setzte sich in Bewegung. Ich spürte den Ruck, als die Pferde anzogen. Nellys Mutter saß im Halbdunkel des Wagens und ließ mich keinen Moment aus den Augen. Ich versuchte zu hören, was draußen gesprochen wurde. Zuerst war es nur unverständliches Genuschel. Nellys Mutter gab mir nichts mehr von der Tinktur, und meine Wahrnehmung wurde allmählich schärfer. Ich verstand das Wort Rochester . Dann: das Gefolge der Herzogin . Wir begleiteten also Anna von Kleve auf ihrer Reise nach London. Sie war von Deal nach Dover und dann nach Canterbury gereist und befand sich jetzt in Rochester. In zwei oder drei Tagen würden wir London erreichen.
    Nellys Mutter entfernte die Binde von meinem Mund, um mir zu essen zu geben. Sie schnitt ein Stück braunes Brot ab, und ich beobachtete, wo sie danach das Messer verstaute. Sie legte es in einen offenen Kasten an der Seitenwand des Wagens.
    Schweigend aß ich das Brot, bemüht, mich gefügig zu zeigen. Ich musste es versuchen, jetzt war die Gelegenheit. Ich spürte immer noch die Wirkung des Gifts, doch eine zweite Chance würde ich vielleicht nicht bekommen. Edmund hatte, auch während er kleine Mengen der Tinktur zu sich genommen hatte, alle seine täglichen
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