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Die Prophetin

Die Prophetin

Titel: Die Prophetin
Autoren: wood
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Jesus-Fragment vielleicht den entscheidenden Hinweis, auf den sie schon so lange gehofft hatte? Wür-de sie möglicherweise erfahren, wo sich die Oase befand, die Stelle in der Wüste, wo Mirjam und ihr Bruder den Kampf um die Macht geführt hatten? Catherine überlegte einen Augenblick und nahm dann ein Buch aus dem Regal. Es stammte aus dem Jahr 1764, und es handelte sich um die englische Übersetzung der Erinnerungen von Ihn Hassan, einem Araber aus dem zehnten Jahrhundert, dessen Schiff im Jahr 976 n.
    Chr. in einem Sturm vom Kurs abgekommen war. Der Mann konnte sich an eine nur ungenau bezeichnete Küste retten. Beim ersten Lesen war Catherine die Stelle aufgefallen: ›… im Lande Sina gestrandet…‹
    Damals dachte sie: Spricht er von der Sinaihalbinsel? Sie verglich die unklaren Hinweise aus der Geschichte des Arabers mit Stellen im Alten Testament und kam unter Einbeziehung von Astronomie und der Navigation mit Hilfe von Sternen (Ihn Hassan berichtete: ›Ich sah, wie Aldebaran über meiner Heimat aufging‹) sowie unter Berücksichtigung der Legenden und Gebräuche der Beduinen dieser Gegend zu dem Schluß, daß der Araber an dieser Küste gestrandet war, wo jetzt die Ferienhotels Touristen aus aller Welt anlockten.
    Mit dieser Erkenntnis hatte Chatherines lebenslange, unbestimmte Suche schließlich ein Ziel gefunden. Sie sah ihre Vermutungen bestätigt, denn Ihn Hassan hatte geschrieben: ›Ich verbrachte meine einsamen Tage an einem Ort, wo die ansässigen Beduinen ihre Herden tränken, dem Bir Mary am…‹ Der Mirjam-Brunnen.
    Catherines Suche hatte genaugenommen an einem ganz bestimmten Tag begonnen. Als Vierzehnjährige zeigte man in der von Nonnen geleiteten katholischen Schule während der Karwoche eine Reihe von Filmen für die achte und neunte Klasse zum Thema: ›Bibelfilme der vierziger und fünfziger Jahre.‹ Höhepunkt war DeMilles Klassiker Die Zehn Gebote aus dem Jahr 1954. Während die meisten ihrer Mitschüler, die mit den technischen Spezialeffekten von Star Trek und Krieg der Sterne aufgewachsen waren, kicherten und sich langweilten – allerdings gab es Beifall, als Moses das Rote Meer teilte –, wurde Catherine sehr nachdenklich. Alle Filme verherrlichten die Helden der Bibel: Samson, Moses, Salomon. Auf der Leinwand zeigte man gute, würdevolle und heldenhafte Männer. Unter den Frauen gab es dagegen nur zwei Typen: Die böse Verführerin und die geduldig leidende Jungfrau. Selbst ältere Frauen und Mütter wirkten in den Filmen irgendwie jungfräulich und blaß. In keinem Film gab es eine richtige Heldin. Catherine fand, daß die Frauen wenig mehr waren als Statistinnen zur Verherrlichung der Männer. Aus dieser einfachen Beobachtung – Catherine war überzeugt davon, daß es auch in biblischen Zeiten Heldinnen gab – hatte sich bereits in ihrer Jugend eine wahre Besessenheit entwickelt, die schließlich zu ihrer Berufswahl führte: biblische Archäologie. Sie glaubte felsenfest, daß der Wüstensand, in dem man Schätze wie das Grab des Tut-ench-Amun und die Schriftrollen vom Toten Meer gefunden hatte, weit mehr Geheimnisse barg, die nur daraufwarteten, ausgegraben zu werden. Wenn man in der Bibel keine Heldinnen fand, dann wollte Catherine sie an Ort und Stelle, in der Wüste finden.
    Sie mußte jedoch bald feststellen, daß die von Männern beherrschte Archäologie und Bibelwissenschaft mit ihren anerkannten und scheinbar unumstößlichen Theorien von der alten Garde wie eine uneinnehmbare Bastion verteidigt wurden. Sie tolerierten in ihren Reihen kaum Frauen und waren unter keinen Umständen bereit, von ihren grundsätzlichen Erkenntnissen abzurücken.
    Als sich Catherine vor fünf Jahren zum ersten Mal um eine Grabungsgenehmigung in dieser Gegend be-müht hatte, erklärte sie den Beamten im Ministerium in Kairo, sie beabsichtige, nach dem Mirjam-Brunnen zu suchen, und hoffe damit, Beweise für ihre Theorie zu finden, daß Mirjam, die Schwester von Moses, eine Anführerin der Israeliten gewesen sei und daß sich die Geschwister die Führerschaft als gleichberech-tigte Partner geteilt hätten.
    Die zähen Verhandlungen zogen sich über Monate hin. Sie führte zahllose Gespräche, zahlte hohe Beste-chungsgelder, mußte erleben, daß Dokumente spurlos verschwanden, wurde von einer Stelle zur anderen verwiesen, und schließlich lehnte man ihr Gesuch ab.
    Deshalb hatte Catherine den Rückzug angetreten und eine andere Strategie entwickelt. Ein Jahr darauf erschien sie wieder in
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