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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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der McClancy geschleppt. Er war auf die nahe gelegene Mittelschule Our Lady of Fatima gegangen, und von der Gegend her wäre die reine Jungenschule McClancy der nächste logische Schritt gewesen. Nun denn. Von der Fatima wechselte Alfredo zur I.S. 145 und von dort auf die Newton High, wo er knapp zwei Jahre durchhielt, bevor er abging. Hätten sich die Dinge anders ergeben – wären keine Blitze geschleudert worden –, dann hätte Alfredo sich möglicherweise in kleineren Klassenzimmern wiedergefunden, bei Nonnen, die sich nichts gefallen ließen und einem die Ohren langzogen. Wer weiß? Vielleicht hätte er am Ende doch den Abschluss geschafft. Wäre jetzt womöglich im Priesterseminar und auf dem Weg ins Amt der Oblatenverteiler und Weihrauchschwinger.
    Als Präventivmaßnahme nimmt Alfredo die Brille ab und verstaut sie in der Hosentasche, neben dem Tütchen mit den verschreibungspflichtigen Pillen, die er im Internet gekauft hat. Die Umrisse der Bäume, Fenster, Menschen – alles verschwimmt. Er blinzelt. Was soll er machen? Das ist seine einzige Brille, und es muss ja nicht sein, dass Vladimir einen Glückstreffer landet und ein Glas zerbricht. Obwohl Handgreiflichkeiten zunehmend unwahrscheinlich erscheinen. Alfredo würde Winstons Geschichte gerne glauben, aber Curtis’ Zweifel stimmen mit seinen überein. Keine Frage, der Junge, auf den sie zugehen, ist Vladimir – das einzige slawische Gesicht in einem Meer von Hispanics –, aber ist dieser Vladimir ein Drogendealer mit richtig Holz? Jedenfalls versucht er, wie einer auszusehen. Über seinem McClancy-Hemd mit Krawatte trägt er ein violett-goldenes Retro-Trikot der Lakers. Auf dem Kopf hat er eine schwarze Basecap, den platten Schnabel nach hinten gedreht. Seine Hosen sind baggy und tief nach unten gezogen. Das Problem ist nur, der Junge übertreibt völlig. Es ist, als ob die Moskauer MTV-Variante erst seit Kurzem Videos von Snoop Dogg und Dr. Dre bringen würde, und Vladimir – in Erwartung seines eigenen Amerika-Debüts – sich Notizen gemacht hätte. Er hat sich sogar einen Old-School-Pager an den Bund seiner Wollhose geklemmt. Das alles passt überhaupt nicht zusammen. Nicht nur kollidiert das Hip-Hop-Outfit mit Vladimirs bleicher Haut und dem Oberlippenflaum, das Ganze ist einfach eine Drogendealer-Kombi aus einer anderen Ära und von einem anderen Stern: frühe Neunziger, Westküste. Dennoch gibt es zumindest einen Grund zur Hoffnung. Eine Gruppe Kids umschwirrt Vladimir. Ein vielversprechendes Zeichen – spaltet man den Kern eines Teenager-Atoms, stößt man oft auf Drogen –, aber während der fünf Minuten, die Alfredo und Winston auf der anderen Straßenseite auf Curtis gewartet haben, hat es nicht eine Transaktion gegeben. Kein einziges Mal Geld gegen Pillen. Entweder haben die Kids sich bereits eingedeckt, oder sie warten darauf, sich einzudecken, oder – Alfredo will gar nicht daran denken – der kleine Russe hier hat nichts zu verkaufen.
    »Hey, Vladimir«, brüllt Alfredo, als er näher kommt. »Was geht mit X? Hast du E am Start?«
    Vladimir wird blass. Seine rosa Lippen verziehen, verdrehen oder kräuseln sich nicht; sein Mund bleibt ein dümmlicher Schlitz im unteren Bereich seines Gesichts. Die Augen wandern von links nach rechts, scannen die Fragesteller: ein schwarzer Typ; noch ein schwarzer Typ, schwerer und kleiner als der erste, und ein Hispanic, der redet und der kleinste der drei ist. In Vladimirs Blick sind keine Angst, keine Aufregung oder Verwirrung abzulesen, als wäre er ein Drittklässler, der eine quadratische Gleichung liest. Als würde er einen Haufen Ziegelsteine anstarren. Er blinzelt häufig.
    »Sprichst du Englisch?«, flüstert Alfredo.
    »O Mann«, sagt Curtis.
    »Ecstasy«, sagt Alfredo. Um Vladimir auf die Sprünge zu helfen, legt sich Alfredo pantomimisch eine kleine runde Pille auf die Zungenspitze. Er reißt die Augen weit auf, grinst mit allen Zähnen. »Du nimmst sie und tanzt zu Techno. Fühlst dich fantastisch damit. Nein? Da klingelt nichts?«
    Curtis haut Vladimir vor den Brustkorb, und er fliegt rückwärts in den Maschendrahtzaun. Der Zaun gibt quietschend nach und hält Vladimir aufrecht. Ihm steht der Mund offen. Aus seinem ganzen Körper ist die Luft raus.
    »Sind das Air Jordans?«, sagt Alfredo und zeigt auf Vladimirs Schuhe. »Solche habe ich lange nicht gesehen. Von wann sind die?«
    Vladimir reibt sich die Brust, schnappt kauend nach Luft. Winston, Alfredo und Curtis stehen im
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