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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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atmet er durch den Mund ein. Es war mehr als zwei Jahre her, dass sich Alfredo, als er morgens um halb vier neben seinem älteren Bruder hinten in einem Camaro saß, die Haare an den Armen aufstellten und er feststellen musste, dass er ein Hyperventilierer war.
    Am vorangegangenen Abend hatten im Virgil’s Festsaal in East Elmhurst die Feierlichkeiten zum 16. Geburtstag einer gewissen Miss Rashida Katabi stattgefunden. Ein DJ hatte aufgelegt, es gab warmes Schawarmabüfett und eine komplizierte Kuchen-Anschneidezeremonie. Das Privileg, das Virgil’s zu diesem besonderen Anlass nutzen zu können, hatte Rashidas Vater, einen schielenden Libanesen, 2800 Dollar gekostet, die er bar bezahlte. Woher Alfredo das wusste? Weil sein Bruder es ihm erzählt hatte. Und sein Bruder wusste es, weil die Typen vorne im Camaro, Gio und Conrad, es ihm erzählt hatten, und die wiederum wussten es, weil sie im Virgil’s arbeiteten und den Festsaal erst ein paar Stunden zuvor abgeschlossen hatten. Jetzt fuhren sie zurück, noch immer in ihrer Polyestermontur, mit Freunden auf dem Rücksitz und mit Absichten: Sie würden dort einbrechen und den Laden ausräumen. Der Plan war Wochen zuvor nachts bei etlichen Flaschen Corona gefasst worden. Schlüssel wurden nachgemacht und Kombinationen mitgeschrieben. Sie hatten bloß auf einen wie Mr. Katabi gewartet, der mit einem prallen Umschlag voller Bargeld ins Virgil’s maschiert kam.
    Alfredo hatte darum gebettelt, dabei sein zu dürfen, jetzt bat er darum, dass sie ihn aussteigen ließen. Vornübergebeugt auf dem Gehweg, die Beine zitterten ihm wie einem Hund, konnte Alfredo zwar tief ein-, jedoch überhaupt nicht ausatmen. Kalte Dezemberluft strömte ihm in die Lungen. Seine Fingerspitzen waren taub. Ihm war, als summte ihm ein ganzer Bienenstock in den Ohren. Er hatte es so eilig gehabt, aus dem Wagen herauszukommen, dass er die Tür offen gelassen hatte, und nun piepste und bimmelte die Bordelektronik des Camaro. Die Innenbeleuchtung glühte über den Köpfen seiner Mitverschwörer. Alfredo bemerkte, dass sie ihn beobachteten. Draußen, auf der Straße, weithin sichtbar, drauf und dran, an Sauerstoff zu ersticken, sicher, sterben zu müssen, hatte Alfredo das Gefühl, dass es mehr als alles andere die herabkullernden Tränen waren, die ihn als knallharten Kriminellen disqualifizierten. Unter entschuldigenden Rufen vom Vordersitz fuhr der Wagen weg, ließ ihn zurück. Sie fuhren in Richtung Virgil’s Festhalle und steuerten damit – obwohl sie das zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten – ihrer Verhaftung, diversen Gerichtsterminen, Pflichtverteidigern und jahrelangen Haftstrafen entgegen.
    Jene erste Panikattacke sowie diejenigen, die er seitdem gehabt hat, und das Herzrasen jetzt, haben möglicherweise etwas mit dem heiligen Gebot zu tun, nicht zu stehlen. Alfredo fragt sich, ob er bereits den Verstand verloren hat, wenn er seine Atemprobleme einer Angst vor übersinnlicher Vergeltung zuschreibt. Und doch ist es ein Gebot, Nummer sieben, Du sollst nicht stehlen , gleich nach Mach niemanden kalt und Geh nicht fremd . Und obwohl er sonntagmorgens nicht mehr zur Messe geht und sich die nach Papier schmeckende Oblate auf der Zunge zergehen lässt – seine letzte Beichte ist fünf Jahre her –, hat er noch immer Angst, wenn er unterwegs ist. Schielt verstohlen hinauf zu den Wolken, voller Sorge, irgendwie Anlass zu Unmut zu geben. Er hat Regeln: Er wird den Namen Gottes nicht missbrauchen, er spricht ein kurzes Tischgebet vor dem Abendessen, er kann an keiner Kirche vorbei, ohne sich zu bekreuzigen. Manchmal schickt er Gott vor dem Einschlafen ein stilles Gebet, in dem er ihm ganz generell für das Leben dankt, das er selbstbestimmt gestalten dürfe, und ihn bittet, er möge ihm die Freuden dieses Lebens nur nicht wieder entreißen (Isabel in erster Linie und nun auch Christian Louis). Mit gebührendem Respekt betet Alfredo für Nichteinmischung. Keine Blitze, okay? Bitte brenn New York nicht nieder. Du lässt mich in Frieden, ich lass Dich in Frieden.
    Alfredo erhebt sich vom Boden, aber das macht es nur noch schlimmer. Er hat Gänsehaut auf den Armen, und seine Zunge ist mit Angst belegt. Dieses ganze Generve, dabei wird er die Pillen noch nicht mal selbst behalten können. Er hat vor, sie Tariq zu geben, der morgen nach zweieinhalbjähriger Abwesenheit wieder nach Hause kommt. Das übliche Präsent zum Wiedereinstieg. Alfredo hofft, bei seinem Bruder den Eindruck zu hinterlassen, er
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