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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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sei ein ganz schwerer Junge, der es mehr als dicke hat. Na, das ändert alles, sagt seine Lunge. Wenn du die Pillen nicht selbst behalten willst … Ja, ja, sicher. Diebstahl ist Diebstahl. Er kann Vladimir um das E bitten, einen Antrag stellen – was ist religiöse Gelehrsamkeit denn anderes als das Aufstemmen von Hintertürchen? –, aber wenn Vladimir nein sagt, nö, nyet, fick dich ins Knie, wird Alfredo, der ganz schwere Junge, das weiß er, nicht in der Lage sein, es einfach sich zu nehmen und diesem Fremden, diesem Neuntklässler, eine auf die Zwölf zu geben.
    Winston, der außerhalb der zweidimensionalen Welt der Videospiele noch nie jemandem eine verpasst hat, bläst eine graue Wolke süßlich riechenden Rauchs gen Himmel. Der Rauch steigt auf, zieht in Richtung der Zwei- und Dreifamilienhäuser, in Richtung einer Wäscheleine mit Jeans, T-Shirts und verwaisten Einzelsocken. Er ringelt sich in ein offenes Hosenbein. Alfredo nimmt an, dass der nun verborgenene Rauch in der Jeans noch weiter aufsteigt und am Bund wieder austritt, womöglich in Form eines männlichen Oberkörpers, doch dieser Gedanke wird rasch durch einen anderen ersetzt: Zwei, drei Züge von dem Joint, und ich bin bereits komplett auf Sendung und warte darauf, dass irgendein graugesichtiger Heiland vom Himmel kommt.
    »Was ist los?«, sagt Winston. »Wohin guckst du?«
    »Nochmal zu dieser Vladimir-Sache«, sagt Alfredo, und wie immer wird er vom Sprechen locker: Es ist besser, Wörter aus dem Mund hervorzupressen, als Luft einzuziehen. »Ich sag das jetzt nur, damit dir wohler ist. Damit du aufhörst zu flennen. Vielleicht könnten wir die ABC-Brüder anrufen.«
    »Wieso das denn? Damit sie Vladimir abziehen, während wir danebenstehen und sie anfeuern?«
    »Damit du dich danebenstellen kannst. Damit ich dein Geflenne nicht mehr hören muss.«
    »Na klar«, sagt Winston. Nachdem er den Joint bis auf die Größe einer Küchenschabe heruntergeraucht hat, drückt er ihn an der Mauer aus, die entlang der Gasse verläuft. Etwas war noch dran gewesen, genau genommen der beste Teil, aber Winston raucht keine Schaben. Er verbrennt sich nicht gerne seine kostbaren Finger. »Ist auch egal. Deine Sache. Klingel die ABC-Brüder an.«
    D ie ABC-Brüder – Alex, Bam-Bam und Curtis Hughes – sind ein Trio harter schwarzer Jungs aus Corona, Queens, dem an Jackson Heights angrenzenden Viertel. Besonders hart sehen die Brüder allerdings nicht aus. Zwar ist jeder von ihnen über 1,80 Meter, aber keiner wiegt mehr als 65 Kilo. (Ihre Mutter, Mrs. Hughes, nennt sie einen Satz Fahrradspeichen.) Sie haben die langen schlanken Körper von Streetball-Spielern, und wenn man sie auf dem Platz sähe, würde man denken, sie wären reine Schützen, die sich an der Dreierlinie freilaufen und gleich zum Wurf ansetzen, zu zimperlich, um sich durch Blöcke zu kämpfen, und ungern dort hingehen, wo’s wehtut, unter den Korb, um dort um Rebounds zu kämpfen. Die ABC-Brüder allerdings tun nichts dergleichen. Sport ist eigentlich überhaupt nicht ihr Ding. Ihr Ding ist, Leuten die Fresse polieren.
    Mit ihren Händen geht’s schon los. Eine Laune der Natur hat den ABC-Brüdern arthritisch wirkende Fäuste verpasst, mit knotigen Knöcheln so groß und rund wie Walnussschalen. Sollte Vladimir sich weigern, seine Ware herauszurücken, werden die Brüder handeln. Jeder schlägt aus der Schulter zu und keilt wie ein Maultier.
    Allerdings, und das ist blöd für Alfredo, arbeiten die ABC-Brüder nicht umsonst. Sie hinzuzuziehen birgt den Nachteil jeder Fusion, egal ob zwischen Großkonzernen oder Seepiraten: Die Beute wird geteilt. Aber wie bei der Comcast/AT&T-Fusion, von der unlängst in der Zeitung zu lesen war – Alfredo ist überzeugter Leser der New York Post –, gibt es ohne Schulterschluss keine Gewinne. Die beiden Parteien brauchen einander. Alfredo liefert die Informationen, die Brüder Knotenfaust kümmern sich um die Gewalt. Den tatsächlichen Diebstahl begehen also die Brüder, Gott schütze sie. Außerdem geben sie Alfredo revanchetechnisch Deckung. Sollte der junge und unerfahrene Vladimir nach dem Überfall also aus gekränktem Stolz einen Ständer bekommen und geil auf Rache werden, wird er sich mit zwei unterschiedlichen Crews auseinandersetzen müssen, Crew eins (Alfredo und Winston) und Crew zwei (Alex, Bam-Bam und Curtis), und das – man bedenke, dass der arme Junge kaum Beziehungen hat – ganz alleine. »Und um in der Richtung was zu unternehmen«,
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