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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Winston.
    In Alfredos Tasche summt wieder das Telefon. »Wie spät ist es?«, fragt er, niemand Spezielles, vielleicht antwortet ihm deshalb auch keiner. Es ist sicher schon fast vier, denkt er. Er könnte sich auf dem Telefon vergewissern, aber er will nicht sehen, wie seine Festnetznummer blinkt und ihn abstraft, am anderen Ende der Leitung Isabel, deren Knöchel schon weiß werden. Anruf von … Bratpfanne auf den Schädel. Er streckt die Hand nach Vladimirs Hosenbund aus und macht den Pager ab. Vladimir fährt hoch und sackt dann in sich zusammen.
    »Keine Angst«, sagt Alfredo. »Hey, hör zu. Leg den Kopf nach hinten. Atme durch die Nase.« Alfredo hält sich den Pager vors Gesicht. Er setzt seine Brille wieder auf, schaut erneut und sieht, dass der Pager aus ist, die LCD-Anzeige dunkel, leer bis auf die Phantomkonturen digitaler Achten.
    »Wie spät ist es?«, sagt Winston.
    »Drei siebenundzwanzig«, sagt Alfredo. Vladimir rappelt sich hoch. Er öffnet den Mund, und Alfredo tritt ihm voll in den Nacken.
    Als Alfredos tias das letzte Mal aus Puerto Rico zu Besuch waren, wollten sie ihm in die Backe kneifen, hielten dann aber inne. Argwöhnisch beäugten sie seinen Oberlippenbart. Das kann nicht sein, sagten sie. Das soll Alfredito sein? Der Drittklässler, der sich früher immer Nummernschilder gemerkt hat? Er hatte sich bis zur Unkenntlichkeit verändert. Manchmal erkennt er sich selbst nicht wieder. In Schuhkartons, Alben und gerahmt an den Wänden finden sich bei den Batistas alte Familienfotos, und wenn er auf denen das Kind sieht – den kleinen Jungen mit der Fliege, der da mit seinen Grundschulfreunden zusammensteht; den kleinen Jungen, der seinem Bruder in Coney Island den Arm um die Schulter legt oder auf dem Küchentisch sitzt und Torte mit den Fingern isst; den kleinen Jungen mit Plüschente oder Baseball –, wenn er dieses Kind in den vergessenen Klamotten in vergessenen Räumen mit vergessenen Eisenbahnen spielen sieht, kann er kaum glauben, dass die Person auf den Fotos er ist, ein und derselbe Alfredo Batista.
    Vladimir würgen zu sehen, flößt ihm Furcht ein. Auf allen vieren, mit rotem Gesicht, kriecht der Junge über den Gehsteig, weg von Alfredo. Weit kommt er nicht.
    Curtis greift unter Vladimirs Achseln. Er reißt ihn hoch und presst ihn gegen den Maschendrahtzaun. Vladimirs Augen sind offen und weiß. Seine Füße tappen nach Halt, als rutschten sie auf Eis. Direkt vor seinem Gesicht keucht Curtis in beinahe sexueller Erregung. Er ist jetzt von der Leine. Er knickt in der Hüfte ein, schlägt aus der Schulter heraus zu und trifft Vladimir auf den Mund. Vladimirs Kopf knallt gegen den Zaun. Möglicherweise wegen des Schepperns von Kopf auf Metall hört keiner das leise Aufplatzen der Unterlippe. Vladimir hält die Augen geschlossen. Ein Zahn – ein unterer Eckzahn, gelblich umrandet – durchschlägt die Lippe, kommt außen zum Vorschein. An dem Loch sammelt sich um die Spitze herum Blut, tropft an seinem glatten weißen Kinn herab.
    Winston geht. Alfredo sieht es und folgt ihm.
    »Hey«, sagt Curtis. »Wo wollt ihr hin?«
    »Behalt die Geldklammer«, sagt Alfredo ohne sich umzudrehen. »Gehört alles dir.«
    »Aber hey. Moment mal. Machen wir noch das Ding morgen abend?« Er ist jetzt der kleine Junge, dessen Spielkameraden zum Abendessen gerufen worden sind und den Ball mitgenommen haben. »Den Hundekampf machen wir aber noch, ja?«
    Alfredo antwortet nicht. Winston hetzt mit ausgefahrenen Ellbogen die Straße entlang, und Alfredo muss traben, um Schritt zu halten. »Warte«, sagt er. Seine Stiefel eignen sich nicht zum Rennen, sie drücken auf bereits existierende Blasen. »Könntest du mal etwas langsamer gehen?«
    »Ich muss nach Hause.« Wie Alfredo dreht Winston sich zum Antworten nicht um. An der Straßenecke biegt er ab, Curtis und der Junge sind nun außer Sichtweite.
    »Winston.«
    »Ich muss nach Hause, okay?«
    Alfredo packt ihn am Ellbogen und reißt ihn herum. »Jetzt warte doch mal bitte.«
    Winston sieht ihn nicht an. Die eine Hälfte seiner Stirn ist schweißbedeckt, die andere trocken. Ein altes Leiden. Wenn ihm heiß ist oder er Angst hat, schwitzt die rechte Gesichtshälfte, isst er Samosas, Sammy’s Halal, scharfes Hühnchen von KFC oder Pizza mit rotem Pfeffer drauf, bilden sich Tröpfchen auf der linken Seite. Alfredo schiebt es auf den Drogenmissbrauch: Gras, Kokain, E und was sonst noch alles – irgendwo auf der Strecke wurde ein Schalter umgelegt, sind
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