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Die Prinzen Von Irland

Die Prinzen Von Irland

Titel: Die Prinzen Von Irland
Autoren: Edward Rutherfurd
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der Scheitelmitte einen hohen Kamm aus aufgestellten Sporen. Diese
Furcht erregenden Gestalten, so sagte man ihr, waren Krieger. Sie wurden von
ihrem Vater herzlich begrüßt und ins Haus geführt. Deirdre hatte voller
Entsetzen drei menschliche Schädel gesehen: Sie baumelten an einem Lederriemen,
der einem der Pferde über den Rücken geschlungen war; das Blut an ihren
Halsstümpfen war schwarz geronnen, die Augen waren weit aufgerissen gewesen.
Als Deirdre ins Haus zurückgerannt war, hatte sie gesehen, wie ihr Vater den
Kriegern mit dem Trinkschädel zuprostete.
    Sie
erfuhr, dass dieser wunderliche alte Schädel in Ehren gehalten werden musste.
Wie das Schwert ihres Großvaters war er ein Symbol der Familientradition. Ihre
Vorfahren waren Krieger gewesen, wackere Gefährten von Fürsten und Helden, ja
sogar der Götter. Tranken die Götter in ihren »strahlenden Hallen« aus
ähnlichen Schädeln? Sie nahm an, dass es so war. Ihre Familie mochte vielleicht
nur über ein kleines Reich gebieten, aber wenn Deirdre an das Schwert und den
Schild und den in Gold gefassten Schädel dachte, hatte sie dennoch allen Grund,
sich erhobenen Hauptes zu bewegen.
    Deirdre
konnte sich an gelegentliche Zornesausbrüche ihres Vaters während ihrer
Kindheit erinnern. Gewöhnlich wurden sie von Leuten hervorgerufen, der ihn
übers Ohr zu hauen versuchten oder es ihm gegenüber am nötigen Respekt fehlen
ließen; manchmal allerdings stellte er seinen Zorn auch mit Berechnung zur
Schau – etwa dann, wenn er beim An- oder Verkauf von Vieh verhandelte. Aber sie
störte sich auch nicht daran, wenn ihr Vater zuweilen wie wild aus der Haut
fuhr oder wie ein Stier brüllte. Ein Mann, der nie in Rage geriet, war wie ein
Mann, der nie bereit war zu kämpfen, mit anderen Worten, kein richtiger Mann.
Ein Leben ohne gelegentliche Ausbrüche dieser Art wäre ihr eintönig erschienen.
    Aber
in den letzten drei Jahren, nach dem Tod ihrer Mutter, war eine Veränderung
eingetreten. Die Lebenslust ihres Vaters hatte nachgelassen; oft hatte er seine
Aufgaben vernachlässigt; seine Wutanfälle waren häufiger, die Gründe für seine
Streithändel immer undurchsichtiger geworden. Im vergangenen Jahr wäre er einem
jungen Adligen gegenüber, der ihm in seinem eigenen Haus widersprochen hatte,
beinahe handgreiflich geworden. Und dann kam noch das Trinken hinzu. Früher
hatte sich ihr Vater selbst auf den großen Festen mit dem Trinken eher
gemäßigt. Aber in den letzten Monaten war ihr mehrmals aufgefallen, wie viel
Fergus und der alte Barde an einem Abend tranken; und ein– oder zweimal hatte
seine Verdrossenheit bei diesen Anlässen zu Zornesausbrüchen geführt, für die
er sich am nächsten Tag bei ihr entschuldigte. Deirdre war auf ihre Stellung
als herrschende Frau des Hauses seit dem Tod ihrer Mutter ziemlich stolz
gewesen. Der Gedanke, ihr Vater könne sich eine neue Frau nehmen, machte ihr
Angst. Aber in den letzten Monaten begann sie sich zu fragen, ob dies nicht die
beste Lösung war. Und dann, dachte sie, nehme ich an, dass auch ich heiraten
muss, da es für zwei Frauen sicher keinen Platz im Haus geben wird.
    Aber
gab es vielleicht noch einen anderen Grund für die Gereiztheit ihres Vaters? Er
hatte zwar nie etwas davon angedeutet – dazu war er zu stolz –, aber sie hatte
sich manchmal gefragt, ob Fergus vielleicht über seine Verhältnisse lebte. Sie
wusste, dass er vor einiger Zeit einem Händler sein wertvollstes Erbstück
verpfändet hatte: den Torques, den goldenen Halsring, der wie ein Amulett
getragen wurde, das Zeichen des Häuptlingsstandes. Die Erklärung, die er ihr
damals gegeben hatte, war sehr einfach gewesen. »Mit dem Preis, der mir dafür
geboten wurde, kann ich mir genug Vieh anschaffen, um ihn in ein paar Jahren
zurückzukaufen. Ohne ihn bin ich besser dran«, hatte er missmutig zu ihr
gemeint. Es gab zwar nur wenige Viehzüchter in Leinster, die ihr Geschäft
besser verstanden als ihr Vater. Aber seine Antwort hatte Deirdre trotzdem
nicht überzeugt. Im vergangenen Jahr hatte sie ihn mehrmals etwas über seine
Schulden murmeln hören. Und dann, es war nun drei Monate her, war es zu einem
Vorfall gekommen, der ihr ernsthaft Angst gemacht hatte. Ein Mann, den sie nie
zuvor gesehen hatte, war auf das Rath gekommen und hatte Fergus vor seinen
Leuten daran erinnert, dass er ihm zehn Kühe schulde. Ferdus fühlte sich
gedemütigt und bloßgestellt. Da er sich weigerte zu bezahlen, kehrte der Freund
eine Woche später mit
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