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Die Prinzen Von Irland

Die Prinzen Von Irland

Titel: Die Prinzen Von Irland
Autoren: Edward Rutherfurd
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zwanzig bewaffneten Männern zurück und führte nicht zehn,
sondern zwanzig Stück Vieh weg. Ihr Vater war vollends außer sich gewesen und
hatte Rache geschworen. Auf seine Drohung waren zwar keine Taten gefolgt, aber
seit dieser Zeit war seine Laune schlimmer denn je gewesen. In jener Woche
hatte er einen seiner Sklaven gleich zwei Mal geschlagen.
    Würde
ihr Vater auf der großen Versammlung in Carmun vielleicht noch weiteren Männern
begegnen, bei denen er Schulden hatte? Oder würde er nach einem Trinkgelage aus
einem anderen Grund Streit anfangen? Diese Aussicht erfüllte sie mit Angst.
Denn auf den großen Festen durfte es keine Streitigkeiten geben. Dies war ein
unumstößliches Gesetz. Bei einer solchen Gelegenheit wie dem Lughnasa–Fest
Unfrieden zu stiften, galt als unverzeihliche Beleidigung des Königs. Der König
konnte dafür den Kopf des Übeltäters fordern, und die Druiden und Barden sowie
jeder andere würden ihn darin unterstützen. Deirdre zitterte bei dem Gedanken,
dass ihr Vater einen Kampf vom Zaun brechen könnte. Und was dann? Es war kaum
zu erwarten, dass man bei dem alten Häuptling aus dem obskuren winzigen
Territorium von Dubh Linn Gnade walten ließ. Seit einem Monat versuchte sie,
Fergus zu überreden, dass er das Fest nicht besuchte. Aber vergebens. Er war
fest entschlossen, Deirdre und ihre zwei kleinen Brüder dorthin mitzunehmen.
    »Ich
habe einen wichtigen Handel vor«, sagte er zu ihr. Aber worin dieser Handel
bestand, wollte er nicht verraten.
    Erst
an dem Tag, bevor sie aufbrechen sollten, hatte er das Geheimnis gelüftet. Es
traf sie völlig unvorbereitet.
    Er
war in aller Frühe mit ihren Brüdern zum Angeln gegangen und kehrte am
Vormittag zurück.
    Selbst
aus der Ferne war Fergus nicht zu verwechseln. Seine hünenhafte Gestalt bewegte
sich mit gemächlicher Leichtigkeit; mit seinen langen Schritten kam er schnell
voran. Er schritt durch die Landschaft wie jemand, der nicht nur diese Gegend,
sondern die gesamte Insel als seinen persönlichen Grund und Boden betrachtete.
    Er
war mit dem langen Stock in seiner Rechten und seinen zwei Söhnen in seinem
Gefolge quer über ein Wiesenstück gekommen. Sein Gesicht mit seinem großen
Schnauzbart und seiner langen Nase war wachsam – es erinnerte Deirdre an einen
weisen alten Lachs. Aber als er näher kam, hatte er angefangen zu schmunzeln.
    »Hast
du was gefangen, Vater?«, fragte sie.
    Aber
anstatt auf ihre Frage zu antworten, hatte er vergnügt gesagt: »Nun, Deirdre,
morgen fahren wir los, um einen Ehemann für dich zu suchen.«
    * * *
    Für Goibniu, den
Schmied, hatte jener sonderbare Handel eines Morgens im Monat davor begonnen.
Im Grunde hatte er keine rechte Erklärung für das, was an jenem Tag eigentlich
geschehen war. Aber der Ort war geradezu bevölkert von Geistern, und das war
bekannt.
    Von
den vielen Flüssen der Insel war keiner so heilig wie der Boyne. Da er eine
Tagesreise weiter nördlich von Dubh Linn in die östliche See mündete,
unterstanden seine fruchtbaren Ufer der Herrschaft des Königs von Ulster.
Gemächlich dahinziehend, reich an prachtvollen Lachsen, floss der Boyne durch
den fruchtbarsten Boden der ganzen Insel. Aber es gab einen Ort – eine Stelle
auf einer niedrigen Hügelkette, von der aus man das nördliche Ufer des Boyne
überblickte –, den die meisten Menschen aus Angst nicht zu betreten wagten: Es
war der Ort der alten Grabhügel.
    Es
war ein herrlicher Morgen, als Goibniu dem Grabhügel einen Besuch abstattete.
Er stieg immer zu ihm hinauf, wenn er durch diese Gegend kam. Anderen Menschen
mochte dieser Ort Furcht einflößen, ihm nicht. Im Westen konnte er in der Ferne
den Königshügel von Tara erkennen. Er hatte den Hang hinuntergeblickt, wo die
Schwäne über die Wasser des Boyne glitten. Ein Mann mit einer Sichel kam den
Pfad am Flussufer entlangspaziert. Er blickte zu Goibniu hinauf und widmete ihm
ein widerwilliges Nicken, das Goibniu mit ironischer Höflichkeit erwiderte.
    Nur
wenige Leute schätzten Goibniu. Seine Name klang wie »Govnju«. Aber was immer
die Menschen von ihm denken mochten, es war ihm egal. Obwohl er eher von
kleiner Statur war, schien er mit seinem rastlosen Auge und seinem
schlagfertigen Verstand jede Menschenansammlung, zu der er sich gesellte, im Nu
zu beherrschen. Sein Gesicht war nicht gerade einladend. Ein Kinn, das
hervorstand wie ein Fels, hängende Lippen, eine herabgekrümmte Hakennase, eine
fliehende Stirn unter spärlichem Haar: ein Gesicht, das man
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