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Die Prinzen Von Irland

Die Prinzen Von Irland

Titel: Die Prinzen Von Irland
Autoren: Edward Rutherfurd
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hatte
sich der Fluss ein breites Hochwasserbecken, die so genannte Liffey–Ebene,
geschaffen. Er war ein launischer Fluss, der zu jähen Zornesausbrüchen neigte.
Wenn er erzürnt war, schossen seine angeschwollenen Wasser, die alles Mögliche
vor sich hertrieben, in gewaltigen Springfluten von den Bergen herab.
    Aber
diese Anfälle von Zorn waren selten. Die meiste Zeit über strömten seine Wasser
ruhig dahin, und seine Stimme war ein sanftes, melodisches Flüstern. Die
Flussmündung mit ihren breiten, von Ebbe und Flut bewegten Gezeitenströmen,
bewaldeten Marschen und niedrigen, grasgesäumten Wattgebieten war ein Ort der
Stille, wo man nur gelegentlich die Schreie der fernen Möwen, das Pfeifen der
Brachvögel und den einsamen Reiher hörte, der über die muschelübersäten Strände
der Küstenlinie dahinglitt.
    Bis
auf die wenigen weit verstreuten Bauernhöfe unter der Herrschaft ihres Vaters
war die Gegend fast menschenleer. Sie hatte jedoch zwei markante Merkmale, von
denen jedes dem Ort einen Namen gegeben hatte. Das eine, direkt bevor der Fluss
sich zu seiner mehrere Meilen breiten sumpfigen Mündung weitete, war von
Menschenhand geschaffen: ein hölzerner Steg durch das Marschland, der den Fluss
an seiner schmälsten Stelle auf Hürden überquerte und weiterführte, bis er auf
dem nördlichen Ufer festeren Boden erreichte. In der keltischen Sprache der
Insel wurde dieser Steg Ath Cliath die Hürdenfurt –
genannt.
    Das
zweite Merkmal war ein natürliches. Denn die Stelle, an der Deirdre gerade
stand, lag am östlichen Ende eines flachen Höhenrückens, der sich am südlichen
Ufer entlangzog und die Furt überblickte. Unterhalb der Anhöhe vereinigte sich
von Süden kommend ein kleiner Nebenfluss mit dem Strom und direkt, bevor er in
ihn einmündete und mit dem Ende des kleinen Höhenrückens zusammentraf, machte
er noch einen leichten Bogen, in dessen Winkel sich ein tiefer, dunkler Teich
gebildet hatte. Diesen nannten die Leute den Schwarzen Teich oder Dubh
Linn, was für das Ohr wie »Duv Lin« klang.
    Obwohl
dieser Ort gleich zwei Namen besaß, lebte kaum jemand dort. Dagegen hatte es
oben, auf den Hängen der Wicklow–Berge, seit unvordenklichen Zeiten menschliche
Ansiedlungen gegeben. Unten bei den Flussmarschen gab es, so sehr Deirdre ihre
stille Schönheit liebte, jedoch kaum einen Grund, sich anzusiedeln.
    Dubh
Linn war nämlich Grenzland, ein Niemandsland. Im Norden, Süden und Westen der
Mündung lagen die Territorien mächtiger Häuptlinge, aber auch wenn der eine
oder andere gelegentlich die Oberherrschaft beanspruchte, interessierte er sich
kaum für dieses Gebiet; und so kam es, dass Deirdres Vater Fergus als Häuptling
des Ortes unbehelligt blieb.
    Mochte
es auch öde und verlassen sein, so war das Reich des Fergus doch nicht völlig
bedeutungslos, denn es lag an einer der wichtigen Wegkreuzungen der Insel.
Uralte Straßen, oft durch die dichten Forste der Insel geschlagen und slige genannt, führten von
Norden und Süden her über die Furt. Die alte Slige
Mhor oder Große Landstraße verlief nach Westen. Daher war Fergus nicht nur der
Wächter des Flussübergangs, sondern er bot Durchreisenden in seinem Haus auch
jene Gastfreundschaft an, die auf der Insel üblich war.
    Einst
hatte an dem Ort regeres Leben geherrscht. Jahrhundertelang war das offene Meer
jenseits der Bucht eher eine Art großer See zwischen den beiden Inseln gewesen,
deren Bewohner lebhaft miteinander gehandelt hatten. Als das mächtige römische
Weltreich die östliche Insel – Britannia, wie die Römer sie
nannten – erobert hatte, waren römische Händler auch auf die westliche Insel
gekommen und hatten entlang der Küste, darunter auch in der Bucht, kleine
Handelsniederlassungen eingerichtet. Einmal, so wusste Deirdre, waren sogar
römische Truppen in der Flussmündung gelandet und hatten ein mit Wall und
Palisaden umgebenes Lager errichtet. Von dort aus wollten die disziplinierten
römischen Legionäre mit ihrer glänzenden Rüstung auch die westliche Insel
einnehmen. Aber es war ihnen nicht gelungen, sie waren wieder abgezogen, und
die magische westliche Insel wurde in Frieden gelassen. Darauf waren die
Bewohner nicht wenig stolz.
    Und
nun befand sich das Römische Reich in Auflösung. Barbarische Stämme hatten
seine Grenzen durchbrochen, Rom selbst war geplündert worden, die Legionen
hatten sich aus Britannien zurückgezogen, und die römischen
Handelsniederlassungen wurden verlassen.
    Einige
der wagemutigeren
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