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Die Prinzen Von Irland

Die Prinzen Von Irland

Titel: Die Prinzen Von Irland
Autoren: Edward Rutherfurd
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hatte
dieses frühe keltische Schriftsystem nie weite Verbreitung gefunden. Und soweit
Finbarr wusste, wurde es auch nicht zur Aufzeichnung der heiligen Überlieferung
der Insel verwendet.
    »Es
ist auch nicht schwer zu sagen, warum«, hatte Conall ihm erklärt. »Erstens ist
das Wissen der Druiden geheim. Es soll nicht von irgendwelchen Unwürdigen
gelesen werden denn das würde den Zorn der Götter erregen.«
    »Und
vielleicht würden dann auch die Priester ihre geheime Macht verlieren«,
bemerkte Finbarr.
    »Das
mag stimmen. Aber es gibt noch einen weiteren Grund. Der größte Besitz unserer
Gelehrten, der Barden, der filidh und der Druiden, ist
die Leistung ihres Gedächtnisses. Es verleiht dem Geist eine gewaltige Kraft.
Wenn wir all unser Wissen schriftlich festhalten würden, so dass wir es nicht
mehr im Gedächtnis behalten müssen, dann könnte dies unseren Geist schwächen.«
    »Warum
hast du denn dann lesen gelernt?«, hatte Finbarr verwundert gefragt.
    »Ich
bin eben neugierig«, hatte Conall erwidert, als wäre dies ganz natürlich. »Und
außerdem«, fügte er grinsend hinzu, »bin ich ja kein Druide.«
    Wie
oft hatten diese Worte in Finbarrs Kopf widergehallt. Natürlich war sein Freund
kein Druide. Er war dabei, ein Krieger zu werden. Und dennoch… Manchmal, wenn
Conall sang und dabei die Augen schloss oder wenn er von einer seiner einsamen
Wanderungen mit einem weit entrückten, melancholischen Blick in den Augen
zurückkehrte, als schwebe er in einem Traum, dann musste sich Finbarr
unwillkürlich fragen, ob sein Freund nicht doch ein – er wusste nicht, welches
– Grenzgebiet betreten hatte.
    Und
so war er im Grunde nicht sonderlich überrascht gewesen, als Conall ihm gegen
Ende des Frühlings gestanden hatte: »Ich möchte mir die Druidentonsur schneiden
lassen.«
    Die
Druiden pflegten sich den Schädel von der Stirn bis senkrecht über die Ohren
kahl zu scheren. Das verlieh eine besonders hohe, gerundete Stirn – es sei denn,
der Druide hatte bereits eine kahle Stirn. In Conalls Fall würde die Tonsur, da
sein Haar besonders dicht war, über seinen Brauen eine deutlich ausrasierte
dunkle Schneise hinterlassen.
    Natürlich
hatte es bereits vor ihm Druiden von Prinzengeblüt gegeben. Viele Menschen auf
der Insel betrachteten die Druidenkaste sogar als etwas Höheres als die der
Könige. Finbarr hatte seinen Freund nachdenklich betrachtet.
    »Was
wird der Hochkönig dazu sagen?«
    »Das
ist schwer zu sagen. Was für ein Jammer, dass meine Mutter ausgerechnet seine
Schwester war.«
    Finbarr
war alles über Conalls Mutter bekannt: ihre fromme Verehrung des Andenkens an
ihren Mann, ihr fester Wille, dass ihr Sohn als ein Krieger in die Fußstapfen
seines Vaters treten sollte. Als sie vor zwei Jahren ihrerseits im Sterben lag,
hatte sie den Hochkönig – ihren Bruder – gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass
die Linie ihres Gemahls fortlebte.
    »Druiden
dürfen ja heiraten«, hatte Finbarr betont – denn die Stellung eines Druiden
wurde tatsächlich oft vom Vater auf den Sohn übertragen. »Du könntest Kinder
haben, die Krieger sein werden.«
    »Das
stimmt«, bestätigte Conall. »Aber der Hochkönig könnte anders darüber denken.«
    »Könnte
er es dir denn verbieten, wenn die Druiden möchten, dass du in ihre Kreise
eintrittst?«
    »Ich
denke«, antwortete Conall, »dass die Druiden, wenn sie wissen, dass der König
es nicht wünscht, die Frage gar nicht erst stellen werden.«
    »Was
wirst du also tun?«
    »Abwarten.
Vielleicht kann ich sie überzeugen.«
    Einen
Monat später hatte der Hochkönig ihn zu sich befohlen. »Finbarr«, so waren
seine ersten Worte, »ich weiß, dass du der engste Freund meines Neffen Conall
bist. Weißt du etwas von seinem Wunsch, Druide zu werden?«
    Finbarr
nickte stumm.
    »Er
täte gut daran, seine Meinung zu ändern«, sagte der Hochkönig.
    * * *
    Eigentlich hatte sie
nicht herkommen wollen. Dafür gab es zwei Gründe. Der erste, das wusste
Deirdre, war ein egoistischer. Sie wollte nicht von zu Hause fort.
    Es
war ein sonderbarer Ort zum Leben, aber sie liebte ihn. In der Mitte der
Ostküste der Insel ergoss sich ein Fluss, nachdem er von den wilden
Wicklow–Bergen direkt im Süden herabgekommen war und einen weiten Bogen durch
das Landesinnere gemacht hatte, durch eine Mündung in eine weite Meeresbucht
mit zwei Landzungen – so als würde, dachte Deirdre, die Erdgöttin Eriu, die
Mutter der Insel, ihre Arme öffnen, um das Meer zu umarmen. Landeinwärts
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