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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin
Autoren: Helena Marten
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schmerzverzerrten Gesicht hatte sich ein seltsam in sich gekehrter Ausdruck abgezeichnet, wie entrückt.
    Sie betrachtete ihren Mann, als hätte sie ihn noch nie zuvor gesehen. Die lange Gestalt mit den breiten Schultern unter der Daunendecke, die wie immer viel zu kurz war, sodass auch jetzt der eine Fuß wieder darunter hervorlugte. Seine Zehen mit den winzigen braunen Haarbüscheln wirkten wächsern in dem matten Licht.
    Sie ließ ihren Blick erneut nach oben zu seinem Kopf wandern. So sieht jemand aus, dessen Seele sich darauf vorbereitet, den Körper zu verlassen, erkannte sie plötzlich. Aber er wollte doch jetzt nicht … Nein, Carl durfte nicht sterben, nicht jetzt, nein, auch nicht später, nein, das konnte er ihr nicht antun, nein …
    »Carl, Carl!«
    Panik verzerrte ihre Stimme. Am liebsten wäre sie aufgesprungen, aber sie durfte jetzt keine hektischen Bewegungen machen, sie durfte ihn nicht erschrecken. Sie zwang sich, ruhig auf ihrem Stuhl sitzen zu bleiben, gleichmäßig ein- und auszuatmen, ihre Gelassenheit wiederzuerlangen.
    »Einundzwanzig, zweiundzwanzig …«, zählte sie langsam.
    Auch Carls Atem hatte sich verändert. Er war tiefer geworden. Und nicht mehr so flackernd. Sein Gesicht sah nun aus wie das von Ludwig, wenn er schlief. Und wenn sie nicht alles täuschte, war da eben ein leichter Druck seiner Finger auf ihrer Handfläche zu spüren gewesen …
     
    F rüh am nächsten Morgen wurde Friederike davon wach, dass Carl mit belegter, aber klarer Stimme sagte:
    »Ich habe Durst.«
    Schlaftrunken starrte sie auf den Verwundeten. Erst als in dem Moment Agnes mit einem Korb unter dem Arm das Zimmer betrat, um Holz aufs Kaminfeuer zu legen, besann sie sich
hastig und schenkte Wasser aus dem Krug auf dem Nachttisch in einen Becher. Vorsichtig hob sie Carls Kopf, um ihm die Flüssigkeit einzuflößen.
    Er versuchte sich aufzurichten, verzog aber sogleich das Gesicht vor Schmerzen und überließ sich ihren Händen.
    »Diesem Kerl werden wir es zeigen, Friederike«, seufzte er, als sein Kopf erschöpft zurück aufs Kissen fiel.
    »Das ist doch jetzt unwichtig. Hauptsache, du wirst wieder gesund, Carl!«
    »Ja, und dann werde ich mir als Allererstes diesen Ebersberg vorknöpfen. Die Firma Bogenhausen wird dafür sorgen, dass er nie wieder eine Stelle bekommt. Und ins Gefängnis werden wir ihn auch bringen.«
    »Dann wird Caspar längst über alle Berge sein …«
    »Darum kümmert sich Emanuel.«
    »Woher weißt du das?«
    »Weil er es mir gesagt hat«, grinste Carl. »Er dachte allerdings, ich würde ihn nicht hören.«
    »Können wir das nicht alles vergessen?«
    »Nein, die Bogenhausens vergessen nie etwas.«
    Seine Miene hatte sich verdüstert. Finster schaute er sie an.
    Friederike senkte als Erste den Blick. Redete er immer noch von Caspar Ebersberg? Oder war diese letzte Bemerkung auf sie gemünzt gewesen? Aber sie konnte doch jetzt nicht anfangen, mit dem schwer verletzten Carl über ihre verkorkste Ehe zu sprechen! Er musste doch erst einmal gesund werden!
     
    J e mehr Tage ins Land zogen und je weiter Carls Genesung voranschritt, umso klarer wurde Friederike, dass sie den Zeitpunkt für ein klärendes Gespräch mit ihrem Mann offenbar verpasst hatte. Carl selbst schien keinerlei Bedürfnis zu verspüren, den Grund für seine lange Abwesenheit und seinen verhängnisvollen Ritt nach Höchst noch einmal zu thematisieren. Er hängte sich lediglich an Caspar Ebersberg auf, dem Mann, der seine
Frau beinah vergewaltigt, sie in hochschwangerem Zustand gewürgt und dann ein weiteres Mal als Vorlage für seine obszönen Porzellanfiguren missbraucht hatte. Aber Ebersberg würde seine gerechte Strafe bekommen, so wie das Problem mit den »Badenden« und den anderen Friederike-Statuen ebenfalls gelöst war: Emanuel hatte alle Abgüsse aufgekauft und Göltz und Benckgraff gedroht, ihr Geschäft für immer zu ruinieren, sollten sie jemals weitere Kopien in Umlauf bringen. Vor seinen Augen hatte Benckgraff daraufhin sämtliche Formen eigenhändig zertrümmert.
    Als Friederike eines Morgens, das Frühstückstablett vorsichtig vor sich her balancierend, das Schlafzimmer betrat, saß Carl bereits aufrecht im Bett und las in seinen Papieren. Vor ihm auf dem Plumeau lag ein Brief, dessen großes rotes Siegel ihr schon von der Tür aus entgegenleuchtete.
    »Den hat mir Emanuel gebracht«, erklärte Carl, als er ihren fragenden Blick bemerkte. »Aber er ist an dich adressiert. Keine Ahnung, warum er ihn mir und
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