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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin
Autoren: Helena Marten
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Schnabel. Ein kleiner Bruder des Chinesen wartete auf ihrem Arbeitspult darauf, ebenfalls ein Gesicht und Kleidung zu bekommen. Er hielt einen zierlichen Sonnenschirm in der Hand.
    Friederike seufzte. In diesem Jahr hatte sie deutlich weniger Chinesen bemalt als im Jahr zuvor. Sie schienen allmählich aus der Mode zu kommen. Wie schade, gehörten doch gerade die Chinesen zu ihren Lieblingsfiguren! Sie wusste auch nicht, warum sie ihr so viel besser gefielen als all die Gärtnerinnen, Schäferinnen, Limonadenverkäuferinnen, Winzer und Damen mit Krinoline, die neuerdings von ihr angekleidet werden wollten.
    Draußen war es nun fast dunkel. Eben hatte die Dienstmagd
die beiden dreiarmigen Leuchter angezündet. Zum Malen brauchte man Licht. Mehrere Glutbecken sorgten für eine wohlige Wärme im Atelier. Denn obwohl es ein ungewöhnlich milder Herbst war, wurde es gegen Abend schon recht kalt. Sobald sie aber klamme Hände bekam, fiel es ihr schwer, den Pinsel zu halten und zu malen.
    Sie hörte Schritte auf der Treppe. Ihr Bruder. Obwohl er, ganz wie es der Mode entsprach, mehr tänzelte als kräftig ausschritt, knarrten die alten Holzdielen unter seinen Füßen. Ohne anzuklopfen, drückte Georg die Türklinke herunter und steckte den Kopf durch den Spalt. Seine Perücke war verrutscht, sein Kragen verknittert. Seine ganze Erscheinung machte einen derangierten Eindruck. Schweigend betrat er den Raum und ließ sich mit einer lässigen Bewegung in den Fauteuil gleiten. Friederike hob die Augenbrauen.
    »Liebste Schwester, wie schön du aussiehst, wenn du so in die Kunst vertieft bist!«, hob er schließlich an.
    Seine üppigen Lippen hatten sich zu einem strahlenden Lächeln verzogen. Mit einer weit ausholenden Handbewegung und einem gekonnten Augenaufschlag unterstrich er sein Kompliment.
    »Ja, ja …« Friederike war wenig beeindruckt von Georgs Begeisterungsbekundungen. Sie wusste genau, dass ihr Bruder Gestik und Mimik vor dem Spiegel einzustudieren pflegte. Oft genug hatte sie ihn heimlich dabei beobachtet. Einmal hatte er einen halben Vormittag »sich freuen« geübt, indem er sich selbst immer wieder dasselbe Buch als Geschenk überreicht und dabei jedes Mal ein entzücktes Gesicht aufgesetzt hatte. Georg las nie - Bücher langweilten ihn.
    »Danke für das Kompliment, Georg. Schön, dass du vorbeischaust.«
    »Ich wollte mich nach den Chinesen erkundigen. Sie hätten heute fertig sein müssen.«
    Er warf einen gelangweilten Blick auf die nackten Porzellanfigürchen. Sein Tonfall war nicht mehr ganz so herzlich.

    »Tut mir leid«, entschuldigte sie sich sofort. »Das wusste ich nicht. Du hättest etwas sagen sollen. Dann hätte ich mich mehr beeilt.«
    »Ich habe mein Wort gegeben, dass sie heute fertig sind!« Ein schmollender Unterton hatte sich in Georgs Stimme geschlichen, wie bei einem Kind, dem Unrecht widerfahren ist.
    »Ich werde mich beeilen«, besänftigte ihn Friederike. »Aber ich will es auch gut machen«, fügte sie hinzu. »In den letzten Tagen war einfach zu viel los. Noch dazu musste ich heute mit Maman Tante Amalie besuchen …«
    Sie hätte gern noch mehr von ihrem Besuch bei Tante Amalie erzählt, der Schwester ihrer Mutter, die mit einem Weinhändler verheiratet war. Zusammen mit ihrer dreizehnjährigen Tochter lebten sie in einem prächtigen Haus vor dem Stadttor inmitten der Weinhänge. Doch Georg ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen.
    »Deinetwegen gerate ich nun in eine so unangenehme Situation! Ich habe versprochen, dass sie heute fertig sein würden!«
    Friederike fühlte, wie der Ärger in ihr hochstieg. Warum hatte sie sich eigentlich bei ihm entschuldigt? Es war doch seine Schuld! Er hatte ihr nicht Bescheid gesagt. Woher hätte sie wissen sollen, dass die Figuren so schnell fertig sein mussten?
    »Wo kommst du eigentlich gerade her, Georg?«, fragte sie betont beiläufig. Sie hatte beschlossen, zum Gegenangriff überzugehen. Es bestand kein Zweifel, wo ihr Bruder herkam. Die Dunstwolke, die er mit ins Zimmer gebracht hatte, roch eindeutig nach Rauch und Alkohol. Er hatte sicher wieder einmal mit seinen Freunden in der Schänke gesessen, Karten gespielt und den Schankmägden auf den Hintern geklatscht.
    Georg ignorierte ihre Frage.
    »Jetzt sitze ich schön in der Patsche! Und heute Abend kommt auch noch Kommerzienrat Helbig. Was soll ich ihm bitte schön sagen, wenn er nach den Chinesen fragt?«
    Kommerzienrat Helbig war der Direktor der Porzellanmanufaktur in Meißen. Er war
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