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Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin
Autoren: Elizabeth Mittler
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nunmehr als Gräfin von Domrémy in Lothringen residierst.
    Gewiss möchtest Du wissen, was sich seit Deinem überstürzten Aufbruch im Spätfrühling dieses Jahres hier zugetragen hat. Und getreulich werde ich Dir alles berichten. Indes werden wir uns noch so vieles mehr zu erzählen haben, wenn Ihr uns, wie Du angekündigt hast, besuchen kommt. Gewiss wirst Du staunen, wie hübsch und lebhaft meine kleine Eleonore ist – ja, ich habe sie nach Dir benannt, liebste Schwester, und ich glaube, sie kommt auch ganz nach Dir. Sie ist die Freude meines Lebens und lässt mich die schrecklichen Ereignisse am Tage ihrer Geburt ertragen.
    Immer wieder erstaunt es mich, dass ich das schlimme Fieber so gut – und so schnell – überwunden habe. Und ich danke Gott dem Herrn dafür. Ich glaube, dass meine kleine Leonor mir die Kraft dazu gegeben hat. Sie brauchte mich, denn sie hatte ja keinen Vater mehr. Der arme Heinrich! Natürlich ging sein Tod mir sehr nahe, doch ich war ihm nicht so innig verbunden wie Du Deinem Konrad, und mein Töchterchen hat mich über seinen Verlust getröstet. Sie ist auch das ganze Glück meiner Schwiegereltern, in deren Haus ich freundliche Aufnahme gefunden habe.
    Gerade gibt mir Pater Theophyl ein Zeichen. Für heute muss ich enden, denn er hat wichtigere Pflichten, als meine Schreibkünste zu überwachen. Umso dankbarer bin ich ihm, dass er so großzügig und aufgeschlossen ist.
    So er morgen Zeit hat, werde ich das Schreiben fortsetzen und Dir berichten, was geschah, nachdem drei Mitglieder unserer Familie sowie Freunde und Bekannte meines Gemahls auf grausame und sinnlose Weise ums Leben gekommen sind.
    Liebevoll strich Leonor über das Pergament. Tränen traten ihr in die Augen, und gleichzeitig musste sie schmunzeln beim Anblick der vielen durchgestrichenen Wörter und Buchstaben. Welche Mühe ihre liebe Cathérine sich doch gegeben hatte. Und welche Engelsgeduld Pater Theophyl mit den Schreibkünsten ihrer Schwester haben musste …
    Bis zur Vesper hat Pater Theophyl heute Zeit für mich, und so will ich versuchen, so viel wie möglich und in der richtigen Reihenfolge darzulegen – wobei ich sagen muss, dass ich anfange, Gefallen daran zu finden, die Kunst des Schreibens besser zu erlernen, schon alleine deshalb, weil ich Dir dann häufiger schreiben kann, da wir uns ja wohl nicht sehr oft sehen werden, so weit wie wir nun voneinander leben. Ah, ein Blick des Paters ruft mich zur Ordnung, endlich mit der Schilderung der Ereignisse zu beginnen.
    Gewiss erinnerst Du Dich. Am Abend vor meiner vorzeitigen Niederkunft gab mein Gemahl – Gott hab ihn selig – ein Gastmahl für einige einflussreiche Ratsherren und Kaufleute der Stadt, zu dem er bereits vor einiger Zeit geladen hatte. Deshalb wollte er es auch trotz meines schlechten Zustandes nicht absagen. Zumal die Herren an jenem Abend im Vorfelde einer Ratssitzung über ein wichtiges Thema sprechen wollten. Unter den Gästen befand sich auch Meister Kniebis, der Gewürzhändler, der soeben von einer Reise aus dem Orient zurückgekehrt war. Alle waren begierig, seinem Bericht zu lauschen. Es wurde reichlich aufgetischt, und ein Gericht aus stark gewürztem Fisch fand besonderen Anklang bei den Herren. Es wurde kräftig zugelangt – und auch dem Wein zugesprochen. Irgendwann befahl Dein Gemahl, der kleine Konradin möge zu ihm gebracht werden. Als stolzer Vater wollte er allen seinen Stammhalter präsentieren.
    Ach, was für ein tragischer Fehler!
    Mir scheint, Dein Gatte war nicht mehr ganz nüchtern, denn er fütterte Konradin mit dem gewürzten Fisch und ließ erst ab, als der Kleine anfing zu schreien. So übergab er ihn wieder der Kinderfrau und widmete sich weiter dem Mahl.
    Schon während der Gasterei klagten einige der Herren über Bauchgrimmen, schoben es indes darauf, zu viel gegessen zu haben. Sie verabschiedeten sich, während die anderen an der Tafel verweilten und noch mehr von dem Fischgericht verlangten, das die Köchin so trefflich zubereitet hatte. Sie hatte einen in Freiburg seltenen Seefisch günstig auf dem Markt erworben und war stolz, ihrer Herrschaft das außergewöhnliche, mit raren Gewürzen verfeinerte Gericht kredenzen zu können. Sie kam mit dem Leben davon, da sie es nur ein wenig abgeschmeckt hatte, während das übrige Gesinde, das sich über die Reste hergemacht hatte, schwer erkrankte oder gar starb.
    Ach, was nun folgt, ist so schrecklich, dass mir die Hand zittert und ich die Feder kaum noch
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