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Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin
Autoren: Elizabeth Mittler
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nun, in der kühleren Zeit zu Beginn des Winters, ein wärmendes Feuer loderte. Armstühle mit Kissen luden zum Verweilen ein. Die vormals rauen Steinwände waren verputzt und getüncht und teilweise mit flämischen Tapisserien geschmückt. Später sollten sie noch mit Wandmalereien versehen werden. Die Verglasung der zerborstenen Fenster war erneuert worden, sodass kein kalter Wind in den Raum dringen konnte.
    Statt jedoch mit ihren Kammermägden stickend vor dem Kaminfeuer zu sitzen, stand Leonor nun am Schreibpult und kaute auf ihrer Feder herum. Denn sie hatte beschlossen, ihre Erlebnisse und Abenteuer aufzuzeichnen, sodass ihre Nachkommen – sie hoffte sehr, mit Robyn Kinder zu haben – stets nachlesen konnten, was ihre Mutter erlebt hatte. Und sie nahm sich vor, sollte sie eine Tochter oder Töchter haben, so würden diese nicht wie sie zuerst heimlich und dann geduldet vom Vater dem Unterricht ihres Bruders beiwohnen müssen, sondern ganz offiziell in der Kunst des Lesens und Schreibens unterwiesen werden. Sie war sich ganz sicher, dass Robyn keine Einwände erheben würde.
    Ihre Haube, ein elegantes Modell nach der neuesten französischen Mode, lag achtlos auf einem Schemel. Den Kopfputz hatte ihr die Königin höchstpersönlich geschenkt. Jeanne de Bourbon, die Gemahlin Charles’ V., hatte sie überaus huldvoll empfangen und, umgeben von ihren Hofdamen, gebannt ihren Erzählungen von der abenteuerlichen Pilgerfahrt gelauscht. Immer wieder waren die adligen Démoiselles in „Ahs“ und „Ohs“ ausgebrochen und hatten die Augen weit aufgerissen. Leonor hatte sich der Königin besonders verbunden gefühlt. Da diese so viele ihrer Kinder bereits kurz nach der Geburt hatte begraben müssen, verstand sie nur allzu gut, wie viel Schmerz und Kummer die Monarchin empfinden musste.
    Versonnen strich sie sich nun übers Haar, das ihren Gemahl so sehr entzückte, wenn er sie des Nachts in den Armen hielt. Es war zwar gewachsen, reichte aber noch längst nicht wieder bis auf die Hüften hinab wie damals, als sie es sich abgeschnitten hatte und in die Verkleidung eines Knappen geschlüpft war.
    So viele Gefahren hatte sie überwunden, so viele Abenteuer bestanden – und den Mann gefunden, der ihre Liebe von ganzem Herzen erwiderte: Robyn de Trouville, nunmehr Comte de Domrémy.
    Ja, Charles V. hatte ihn tatsächlich für seine jahrelangen Dienste als Kurier in den Grafenstand erhoben, und Leonor war besonders froh, dass die Ländereien sich in einem Teil Frankreichs befanden, der nicht allzu weit von ihrer ehemaligen Heimat lag. In nur wenigen Tagesritten konnte man die Burg, auf der sie geboren worden war und die nun ihrem Bruder Robert gehörte, erreichen. Und was Leonor noch mehr erfreute, die Feste der Tannecks, auf der Cathérine bei ihren Schwiegereltern lebte, war immerhin so nahe gelegen, dass man sich zumindest einmal im Jahr besuchen konnte.
    Und was bedeuteten schon wenige Tagesritte nach der langen, gefahrvollen Reise, die sie von der Heimat bis ins ferne Rom unternommen hatte? Kurz schweiften ihre Gedanken zu der Rückreise, die an Bord der „Else von Wismar“ ohne Zwischenfälle verlaufen war, rechnete man einen mächtigen Sturm in der Biskaya ab, der das Schiff beinahe zum Kentern gebracht hätte. Dennoch war dieser Sturm im Vergleich zu den in ihr und Robyn tobenden Gefühlen, die sie an Bord hatten verbergen müssen, fast harmlos gewesen. Es hatte ihrer beider ganzer Selbstbeherrschung bedurft, weiterhin als Ritter und Knappe aufzutreten und sich ihre Liebe nicht anmerken zu lassen. Zum Glück war ihre erste Liebesnacht am Strand ohne Folgen geblieben. Erst nachdem sie im Norden Frankreichs Abschied von Kapitän Hanns genommen hatten und an Land gegangen waren, hatten sie auf einer sonnigen Lichtung einander in die Arme sinken und ihrer Leidenschaft freien Lauf lassen können. Einer ungestümen Leidenschaft, die sie erst mit Robyn kennengelernt hatte.
    Voller Stolz ritt Robyn auf Adomar über seine Ländereien. Gewiss, es gab noch viel zu tun, doch er war sicher, schon im nächsten Sommer eine reiche Ernte einfahren zu können. Und auch die armseligen Koben der Bauern würden unter seiner Herrschaft bald sauberen Hütten weichen. Im Gegensatz zu so manchem Feudalherrn und Gutsbesitzer hielt er nichts davon, seine Leute auszubeuten und darben zu lassen.
    Grinsend dachte er an die Nachricht, die er vor wenigen Tagen aus Paris erhalten hatte. Sie stammte von seiner Cousine Géraldine. Jérôme
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