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Die Philosophen der Rundwelt

Die Philosophen der Rundwelt

Titel: Die Philosophen der Rundwelt
Autoren: Terry Pratchett
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das, und darum ermutigt er Shakespeare, Elfen wirklich zu machen. Denn wenn man erst einmal Senfsamen heißt, geht es nur noch bergab …
    Die Elfen können Rincewinds Plan nicht verstehen. Nicht, bis seine Gedanken ihn der Elfenkönigin verraten und die Rettung der Welt an sechs Zentnern herabfallendem Orang-Utan hängt. Dennoch hat der Plan sehr gut funktioniert. So spricht Oberon gegen Ende des Stücks:
     
    Durch das Haus verbreitet Licht,
    Von des Herdes letztem Rauch,
    Jeder Elf und Feenwicht
    Hüpf wie Vöglein leicht vom Strauch;
    Dieses Lied mit mir nun singt,
    Und im Tanz euch hurtig schwingt.* [* Aus: »Ein Sommernachtstraum«, 5. Akt, 1. Szene. Deutsch von Rudolf Schaller, Insel Verlag. – Anm. d. Übers. ]
    Sie haben keine Chance. Demnächst erscheinen sie auf Kinderzimmer-Tapete. Hexen hingegen:
     
    Wolfeszahn und Kamm des Drachen,
    Hexenmumie, Gaum und Rachen
    Aus des Haifisch scharfem Schlund;
    Schierlingswurz aus finstrem Grund;
    Auch des Lästerjuden Lunge,
    Türkennas’ und Tartarzunge;
    Eibenreis, vom Stamm gerissen
    In des Mondes Finsternissen;
    Hand des neugebornen Knaben,
    Den die Metz’ erwürgt im Graben,
    Dich soll nun der Kessel haben.
    Tigereingeweid’ hinein,
    Und der Brei wird fertig sein.* [* Aus: »Macbeth«, 4. Aufzug, 1. Szene. Deutsch von Dorothea Tieck. – Anm. d. Übers. ]
    Ein ungleicher Kampf. Tigereingeweide. Entschieden ein ungleicher Kampf. Die Hexen treten in »Macbeth« nur dreimal auf, aber sie stehlen die Show. Wahrscheinlich bekamen sie Fanpost. Die Elfen sind einen großen Teil von »Ein Sommernachtstraum« über zugegen, doch es ist Zettel, der die Show stiehlt, und nur Puck hat einen Schimmer von dem alten Bösen. Sie sind eingepackt, gestempelt und ins Märchenland abgeschickt worden.
    Freilich, Shakespeares Oberon ist nicht nur lieb und nett. Er nimmt den Saft einer Pflanze, der als Stiefmütterchen bekannten Blume, um Titania, die Elfenkönigin, zu verzaubern, weil sie ihm ein Findelkind nicht geben will. Er lässt sie sich in Zettel verlieben, der zu diesem Zeitpunkt in der Geschichte ein Esel ist. Und er wird besänftigt und sie ist vollends zufrieden mit dem Gang der Ereignisse, als sie ihm das Kind gibt. Doch das ist eine niedere, desinfizierte Boshaftigkeit, ein quengeliger Zank, kein Krieg.
    Der Reiz des Unbekannten verblasst zur billigen Realität einer spezifischen Darstellung, wenn man erst einmal die rieselnden Pailletten sieht. Abrahams Gott der Extelligenz war viel bezwingender als ein paar goldene (oder wahrscheinlich nur vergoldete) Abgötter. Doch als die Renaissancekünstler begannen, Gott als bärtigen Mann in den Wolken zu malen, öffneten sie dem Zweifel Tür und Tor. Die Darstellung war einfach nicht beeindruckend genug. Die Bilder im Radio sind immer besser als die im Fernsehen.
    Seit ein paar hundert Jahren tötet die Menschheit ihre Mythen. Glaube und Aberglaube weichen – langsam und mit erheblichem Widerstand – der kritischen Einschätzung von Beweisen. Vielleicht erfreuen sie sich einer kleinen Wiedergeburt: Viele rationale Denker haben das Abgleiten in Sekten und die sonderbaren Auswüchse des New Age beklagt … Doch das alles sind sehr zahme Versionen der alten Mythen, der alten Glaubensvorstellungen; ihnen sind die Zähne gezogen worden.
    Die Wissenschaft allein ist nicht die Antwort . Auch die Wissenschaft hat ihre Mythen. Wir haben Ihnen ein paar davon gezeigt, oder zumindest was wir dafür halten. Der Missbrauch anthropischer Argumentation ist ein eindeutiges Beispiel, wie im Falle der Kohlenstoff-Resonanz, wenn man davon absieht, wie der Rote Riese selbst die Fakten zurechtbiegt.
    Das Ideal der wissenschaftlichen Methode wird oft nicht erreicht. Die übliche Aussage der Wissenschaft ist allemal eine übermäßige Vereinfachung, doch die allgemeine Weltsicht erfasst das Wesentliche. Denken Sie kritisch über das, was man Ihnen sagt. Akzeptieren Sie nicht gedankenlos das Wort der Autorität. Die Wissenschaft ist kein Glaubenssystem: Kein Glaubenssystem weist Sie an, das System selbst in Zweifel zu ziehen. Die Wissenschaft tut das. (Es gibt jedoch viele Wissenschaftler, die sie als Glaubenssystem behandeln. Vor denen sollten Sie auf der Hut sein.)
    Die gefährlichsten Mythen und Ideologien sind heutzutage jene, die noch nicht von dem emporsteigenden Affen zerstört worden sind. Sie ziehen noch immer ihre Show auf der Weltbühne ab und erzeugen Leid und Wirrwarr – und die Tragödie liegt darin, dass das alles keinen
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