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Die Philosophen der Rundwelt

Die Philosophen der Rundwelt

Titel: Die Philosophen der Rundwelt
Autoren: Terry Pratchett
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Griechenland zurück, vor allem nach Athen. Zweifellos sind sie noch älter, denn keine Tradition beginnt in vollends entwickelter Form. Der »Chor«, eine Schar Statisten, die einen Hintergrund für die Haupthandlung bilden und sie auf vielerlei Weise verstärken und kommentieren, ist griechischen oder noch älteren Ursprungs. Ebenso die Unterteilung der Form des Stücks – wenngleich nicht unbedingt seiner Substanz – in Komödie und Tragödie. Ebenso vielleicht die Erfindung des riesigen ausgestopften Umhängepimmels, der immer für ein paar Lacher von den billigen Plätzen gut ist.
    Das griechische Konzept der Tragödie war eine extreme Form des narrativen Imperativs: Das Wesen der heraufziehenden Katastrophe musste für das Publikum und praktisch alle handelnden Personen offensichtlich sein; offensichtlich musste aber auch sein, dass sie trotzdem eintreten würde. Die Helden waren vom Schicksal verurteilt, wie sie es auch sein sollten – doch wir wollen trotzdem zuschauen, um zu sehen, auf welch interessante Weise sie verurteilt sind. Und falls es albern klingt, sich ein Drama anzuschauen, wenn man den Schluss im Voraus weiß, so überlegen Sie: Wie wahrscheinlich ist es, wenn man sich hinsetzt, um sich den nächsten Bond-Film anzuschauen, dass er die Bombe nicht entschärfen wird? Im Grunde sehen Sie sich eine Handlung an, die so fest vorgegeben ist wie nur je ein griechisches Drama, doch Sie wollen sehen, wie der Trick diesmal geht.
    In unserer Geschichte ist HEX der Chor. Der Form nach ist unsere Erzählung eine Komödie, im Inhalt kommt sie der Tragödie näher. Die Elfen sind eine Scheibenwelt-Reifikation menschlicher Grausamkeit und Bosheit, sie sind die Verkörperung des Bösen, weil sie – traditionell – keine Seelen haben. Dennoch faszinieren sie uns in ihren verschiedenen Aspekten, wie es auch Vampire, Ungeheuer und Werwölfe tun. Es wäre ein schreckliches Ereignis, wenn der letzte Dschungel seinen Tiger aufgäbe, und ebenso, wenn der letzte Wald seinen Werwolf verlöre. (Ja doch, praktisch gibt es keine, doch wir hoffen, Sie wissen, was wir meinen: Es wäre ein schlechter Tag für die Menschheit, wenn wir keine Geschichten mehr erzählen würden.)
    Wir haben den Elfen und Yetis und all den anderen übernatürliche Aspekte von uns selbst aufgeladen; wir sagen lieber, dass es da draußen im tiefen dunklen Wald Ungeheuer gebe, als dass sie in uns selbst eingeschlossen seien. Dennoch brauchen wir sie auf eine Weise, die schwer auszusprechen ist; die Hexe Oma Wetterwachs hat es in Ruhig Blut zusammenzufassen versucht, als sie sagte: »Die Menschen brauchen Vampire. Um nicht zu vergessen, wofür Pflöcke und Knoblauch da sind.« G. K. Chesterton erfasste es in einem Artikel zur Verteidigung von Märchen weitaus besser, als er die Ansicht bestritt, wonach Geschichten Kindern sagen, es gebe Ungeheuer. Die Kinder wissen schon, dass es Ungeheuer gibt, meinte er. Märchen sagen ihnen, dass Ungeheuer getötet werden können.
    Wir brauchen unsere Geschichten, um das Universum zu verstehen, und vergessen manchmal, dass es nur Geschichten sind. Es gibt ein Sprichwort über den Finger und den Mond; wenn der Weise auf den Mond zeigt, schaut der Narr auf den Finger. Wir nennen uns Homo sapiens , vielleicht in der Hoffnung, es könnte wahr sein, doch der Geschichten erzählende Affe neigt dazu, Monde und Finger zu verwechseln.
    Wenn jemandes Gott eine unfassliche Wesenheit ist, die außerhalb von Raum und Zeit existiert, mit unvorstellbarem Wissen und unbeschreiblicher Macht, ein Gott grenzenlosen Himmels und hoher Orte, dringt der Glaube leicht in den Geist ein.
    Doch der Affe ist damit nicht zufrieden. Der Affe beginnt der Dinge überdrüssig zu werden, die er nicht sehen kann. Der Affe möchte Bilder. Und er bekommt sie, und dann wird aus einem Gott endlosen Raums ein alter Mann mit einem Bart, der auf den Wolken sitzt. Große Kunst findet statt zu Ehren des Gottes, und jeder fromme Pinsel tötet sanft, was er malt. Der Weise sagt: »Aber das ist nur eine Metapher!«, und der Affe sagt: »Ja, aber diese winzigen Flügel könnten keinen derart dicken Cherub tragen!« Und dann füllen weniger weise Leute das Pantheon des Himmels mit Hierarchien von Engeln und setzen Plagen des Menschen auf Pferde und schreiben die Dimensionen des Himmels nieder, um den Gebieter unermesslichen Raums darin einzuschließen. Die Geschichten beginnen das System zu ersticken …
    Man glaubt nicht , was man sieht.
    Rincewind weiß
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