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Die Pforte

Die Pforte

Titel: Die Pforte
Autoren: Patrick Lee
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Würfel aus massivem Stahl, in der Mitte zweigeteilt und mit einem Scharnier versehen. Er war aufgeklappt. Um das zu bewerkstelligen, waren zwei schwere, an I-Träger -Schienen an der Decke befestigte Ketten vonnöten gewesen. Genau in der Mitte der nun frei zutage liegenden Würfelhälften befand sich eine quadratische Vertiefung, etwa zehn mal zehn Zentimeter, und je fünf Zentimeter tief. Wurde der Würfel geschlossen, bildeten diese beiden Vertiefungen einen einzigen Hohlraum, groß genug für einen Softball und zu jeder Seite von knapp einem halben Meter massivem Stahl umschlossen.
    Der Gegenstand, der eine solche Vorkehrung erforderlich gemacht hatte, war fort.
    An der Seite des Würfels befand sich eine Metalltafel mit schlichter schwarzer Beschriftung.
     
    PORTAL-ENTITÄT 0247 – «FLÜSTERN»
    FÄLLT UNTER VORSCHRIFTEN DER KLASSE A
    SONDERINSTRUKTION FÜR DIESE ENTITÄT:
    SICHERHEITSABSTAND BETRÄGT EINEINHALB (1,5)
    METER – DARF UNTER KEINEN UMSTÄNDEN LÄNGER
    ALS ZWEI (2) MINUTEN UNTERSCHRITTEN WERDEN.
     
    Der Stahl rings um die mittige Vertiefung sah irgendwie merkwürdig aus. Travis trat näher, um sich das genauer anzusehen, und bereute es auf der Stelle. Direkt um die Vertiefung herum war der Stahl in beiden Würfelhälften zu einem schmutzigen Blau verfärbt. Der Kern des Stahls selbst war hier verformt und nach außen gedrückt worden, wie von einer unvorstellbar starken und geduldigen Kraft.
    Travis, dem auf einmal ein heftig in den roten Bereich ausschlagender Geigerzähler vor Augen stand, verließ hastig den Raum. Erst draußen im Korridor wurde ihm bewusst, dass er den Atem angehalten hatte.
    Er wandte sich um, aber nicht zu der dritten Tür, sondern zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Der helle Spalt in der Kabinenwand war nur zwanzig Schritte von ihm entfernt. Er übte eine verlockende Sogwirkung auf ihn aus.
    Zornig über sich selbst, gab er sich einen Ruck und schritt auf die dritte Tür zu. Was war denn so schwierig daran, das noch rasch hinter sich zu bringen!
    Er würde das Opfer dort tot und kalt vorfinden.
    Er würde sorgfältig seine Fingerabdrücke von dem M1 6-Gewehr abwischen.
    Er würde aus dem Flugzeug klettern, ein paar Berge zwischen sich und die Absturzstelle bringen, und dann würde er sich seinen verflixten Kaffee aufbrühen, wie er es ursprünglich vorgehabt hatte.
    All dessen war er sich gewiss, bis er durch die dritte Tür trat. Dann war auf einmal jede Gewissheit dahin.
    Das Opfer war tatsächlich tot und kalt. Aber nun stand er vor einem ganzen Haufen von Schwierigkeiten.

4
    Travis hatte Erfahrung mit unwirklichen Situationen: mit Momenten, die genauso unmöglich zu akzeptieren wie abzustreiten waren. Was er in dem dritten Raum vorfand, erinnerte ihn an einen solchen Moment. Es riss ihn unmittelbar in die Vergangenheit zurück wie ein seltener Duft, der ihm lange nicht begegnet war. Ein steriler Gerichtssaal. Flackernde Neonbeleuchtung, die sich in den schmalen Fenstern widerspiegelte, von denen nur eines geöffnet war. Das durch den Fensterspalt in den Saal dringende Gelächter eines Mädchens, irgendwo draußen auf der Straße, aus einer anderen Wirklichkeit, unendlich weit weg von diesem Raum, diesem Richter und diesem Urteil. Natürlich hatte er damit gerechnet, vermutlich war er sogar noch glimpflich davongekommen, dennoch traf es ihn wie ein Schlag in die Magengrube: Mit seinen fünfundzwanzig Jahren musste er sich darauf einstellen, erst mit über vierzig wieder ein freier Mann zu sein.
    Dieser Augenblick hier fühlte sich ebenso unwirklich an.
    Auf dem Boden vor ihm, an die Wand gelehnt, saß die First Lady der Vereinigten Staaten, tot und mit starren, blicklosen Augen. In der Hand hielt sie ein blutiges Blatt Papier, offenbar aus einem Notizblock herausgerissen.
    Ellen Garner. Auch jetzt noch wunderschön. Ihr immer schon blasses, zartes Gesicht schien kaum verändert, trotz des Blutverlustes, von dem der vollgesogene Teppich um sie herum zeugte. Sie hatte eine Schusswunde mitten im Bauch.
    Neben ihr lag ein klobiges Telefon, das über einschwarzes Spiralkabel mit einem Koffer verbunden war. Es musste sich um ein Satellitentelefon handeln, das ein wenig wie eins der ersten Autotelefone aussah. Ihre getrockneten blutigen Fingerabdrücke verrieten, was geschehen war. Mrs.   Garner war aus dem Heck hierhergekrochen, um zu diesem Apparat zu gelangen, hatte ihn aus dem Wandschrank genommen, festgestellt, dass er nicht funktionierte, und dann
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