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Die Pforte

Die Pforte

Titel: Die Pforte
Autoren: Patrick Lee
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des Talbodens, über den das Flugzeug geschrammt war.
    Ansonsten war die Maschine mehr oder weniger intakt. Die Heckflosse war abgeknickt und lag auf der Backbordseite quer über dem Stabilisator wie ein gebrochener Körperteil, der nur noch durch einen Hautfetzen am Körper gehalten wird. Der Rumpf wies an drei Stellen breite vertikale Risse auf, aus denen Kabel und Dämmmaterial herausquollen. Durch die Risse konnte Travis im Flugzeuginneren nur Dunkel erspähen, doch aus dieser Entfernung hätte er auch bei einer hell erleuchteten Kabine nichts erkennen können.
    Er sah nicht, dass sich in dem Wrack oder im Umkreis etwas bewegte. Es gab auch keinerlei Anzeichen dafür,niemand hatte Vorräte aus dem Flugzeug geschafft oder ein Notlager im Freien errichtet. Waren die Überlebenden einfach im Flugzeug geblieben? Oder waren sie zu schlimm verletzt, um sich vom Fleck zu rühren?
    Aus dieser Entfernung war es sinnlos, nach Fußspuren Ausschau zu halten. Die durch den Temperatursturz vereiste Schneefläche war so gleißend hell, dass sie aus zweihundert Metern Höhe keinerlei Anhaltspunkte bot. Es war unmöglich zu erkennen, ob jemand aus dem Wrack geklettert war und sich auf den Weg gemacht hatte, um Hilfe zu suchen.
    Hilfe. Dieser Gedanke führte wieder zum verwirrendsten Aspekt des Ganzen zurück. Wie konnte eine Boeing 747 abstürzen, ohne dass jemand zu Hilfe kam, seit – wie lange genau? Himmel, wie lange mochte dieses Ding schon hier liegen?
    Seit drei Tagen. Plötzlich fiel ihm das metallische Kreischen während des Gewitters wieder ein. Er hatte gehört, wie das verdammte Ding abgestürzt war.
    Drei Tage also, und kein Mensch hatte das Wrack seither gefunden. Offenbar hatte niemand auch nur danach gesucht – die letzten Tage über hatte er weder das Brummen eines Suchflugzeugs noch das Surren eines Hubschraubers gehört. Es war ihm unbegreiflich. Das hier war schließlich keine einmotorige Cessna, die ohne Flugplan gestartet und dann verschollen war. Verkehrsmaschinen waren mit einer Fülle von Kommunikationssystemen bestückt: leistungsstarker Funk, Zwei-Wege-Satellitenverbindung und vermutlich noch eine ganze Reihe anderer Sachen, mit denen er sich nicht auskannte. Selbst bei Ausfall all dieser Instrumente hätte der Tower am Flughafen in Fairbanks die letzte bekannte Positionder Maschine registriert. Innerhalb einer Stunde hätte sich eine ganze Armee aufmachen müssen, um die Suche aufzunehmen.
    Travis hatte die Einbuchtung in der Talwand erreicht, eine grasbewachsene Schneise, die bis hinunter ins Tal führte. Der Abhang war doch steiler, als er vermutet hatte, aber eine günstigere Stelle war weit und breit nicht in Sicht. Ein Abstieg in direkter Linie wäre Selbstmord gewesen, selbst hier, aber seitwärts musste es gehen. Er setzte einen ersten Schritt abwärts und stellte fest, dass der Untergrund weich genug war, um ihm Halt zu bieten, aber nicht so aufgeweicht, dass er ins Rutschen geriet. Wenn er sich zum Hang neigte und sich mit der einen Hand im Gras abstützte, konnte er gut vorwärtskommen, ohne aus dem Tritt zu geraten.
    Eine Viertelstunde später spurtete er an einer der Furchen im Talboden entlang – aus der Nähe war sie so breit, dass ein Humvee hätte hindurchfahren können   –, vorbei an dem Steuerbordflügel, der wie ein Teil eines kaputten Spielzeugs an dem Gesteinsvorsprung lag, der ihn abrasiert hatte.
    Als er auf die Schneefläche trat, umgab ihn sofort beißender Kerosingeruch. Der Schnee war ganz vollgesogen damit. In jeder Vertiefung, die er mit seinen Stiefeln im Schnee hinterließ, sammelte sich im Nu die rosa Flüssigkeit.
    Das Flugzeug befand sich nun nur noch etwa hundert Meter vor ihm, mit der Spitze talabwärts und ein wenig gegen den Uhrzeigersinn verschoben, sodass seine linke Seite mit dem intakten Flügel besser zu sehen war als die rechte.
    Bisher keinerlei Spuren im Schnee.
    Vor ihm ragte das Heck empor, selbst mit abgeknickter Flosse noch an die vier Stockwerke hoch. Unter dem Gewicht der intakten Tragfläche auf der Backbordseite, deren beide Triebwerke im tiefen Schnee versunken waren, neigte sich das Flugzeug nach links. Er hastete am Heck vorbei und blieb zehn Meter vor dem Flügel stehen, genau zwischen den beiden Rillen im Schnee, die von den Triebwerken hineingefurcht worden waren.
    Alle drei Risse im Flugzeugrumpf, die er von seinem Lager aus gesehen hatte, befanden sich auf dieser Seite. Der nächstgelegene, nur wenige Schritte entfernt, war breit genug,
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