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Die Patin

Die Patin

Titel: Die Patin
Autoren: Gertrud Höhler
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mehr die CDU der neuen Chefin war. Die Kläger wie Merz, Schönbohm, Koch spürten das und zogen einer nach dem andern ihre Folgerung daraus, dass ihre Partei nicht mehr ‹ihre› Partei war. Die Loyalität zur politischen Heimat, die Anhänglichkeit verband die Garanten der erfolgreichen Parteigeschichte eben nicht mit Angela Merkel, sondern ganz klar miteinander. Dieser Zwiespalt ließ Angela Merkel immer wieder zu Zitaten aus der Wertegeschichte der CDU greifen, um die Unruhe ihrer Kollegen zu beschwichtigen. Wer behauptet, in diesen Jahren der rot-grünen Koalition habe die CDU sich an überholten Positionen abgearbeitet, der entdeckt bei genauerem Hinsehen lauter Stellvertreterkriege in der Partei. Die starken Männer um Angela Merkel, von denen die Grüne Christa Sager schon 2002 meinte, sie könnten «vor Kraft nicht laufen» und hätten die Parteichefin regelrecht «eingebunkert», 44 liefern Zwischenrufe und Störfeuer zu allen Themen, weil sie die Ahnung beschleicht, auch bei der nächsten Wahl könnte die raffinierte Machtspezialistin sie übereilen. Ihr Startplatz war geradezu das Kandidatenticket, auch wenn das Staunen über diesen Aufstieg sich immer noch nicht gelegt hatte.
    «Raffiniert – und häufig genug ruppig – organisierte die CDU-Vorsitzende ihren Aufstieg von der Generalsekretärin über den Parteichefsessel bis hin zur faktischen Kanzlerkandidatin der Union. Dabei hat sie viele Parteifreunde gedemütigt», schreibt Der Spiegel 2004. «Es sind Opfer, die jetzt zu Tätern werden, Verlierer von gestern, die noch einmal aufbegehren. (…) Allmählich zeigt sich, dass die großen Siege der Angela Merkel ihren Preis fordern. Sie bekam immer beides – den Fraktionsvorsitz und damit den erbitterten Gegner Friedrich Merz, sie stutzte den mächtig rivalisierenden hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch auf Provinzformat zurück und spürt ihn nun ebenso heftig im Nacken wieden CSU-Sozialexperten Horst Seehofer (…). Ihr beherzter Griff nach dem Parteivorsitz drängte den Vorgänger Wolfgang Schäuble an die Peripherie der Union (…).» 45
    Roland Koch, unter dem Motto ‹Die Starken gehen›, leitet heute den Konzern Bilfinger Berger – von Provinzformat kann keine Rede sein. Und Wolfgang Schäuble, der schon Kohls Kronprinzensaga gelassen hinnahm, bleibt der imponierende Sonderfall in diesem unfairen Spiel: Ihn knackt sie nicht, an ihm kommt sie aber auch nicht vorbei. Er ist ihr, schlicht und einfach, überlegen – wenngleich das ihren Politikstil, ihre Wertneutralität und ihre Falschmünzerei mit Zitaten aus dem Kanon ethischer Gebote nicht stoppen konnte.
    Merkels Führungsstil ist schon vor ihrer ersten Kanzlerschaft in der Großen Koalition als «geradezu raubtierhafter Instinkt für Macht» 46 entwickelt. Zwischen 2002 und 2005 überwiegen auch in der Programmatik der Partei längst die taktischen Züge. Leidenschaft für Sachfragen ist der späteren Kanzlerin schon jetzt fremd. Kleine Formate in der Sacharbeit langweilen sie. Ihr Ziel ist Weltpolitik.
    Die Konfliktfreude der Vorsitzenden nimmt zu, je länger sie die Spitzenämter innehat. Sie genießt es, unberechenbar zu erscheinen, wie sie vergnügt im kleinen Kreis erzählt. Obwohl sie von sich sagt, dass sie ‹vom Ende her denke›, also das Ziel wichtiger nehme als den Weg, startet sie oft riskante Manöver, die sie nach kurzer Zeit als nicht nutzbar wieder aufgeben muss. Es mag mit ihrer ‹Fremdheit› zusammenhängen, dass sie Kritiker eher zu entfernen trachtet, als sie einzubinden. Sie ist die Newcomerin, und sie hat längst erfahren, dass sie mit jener Loyalität nicht rechnen kann, auf die SPD-Chef Schröder ebenso setzen kann wie ihr einstiger Mentor Helmut Kohl. Beiden Männern hat Angela Merkel von Anfang an die Härte und Kälte voraus, mit der sie Sympathien auf Eis legt. Ihre ersten Lektionen im Leben waren ja diese: Wer vertraut, kann verraten werden. Wer Versprechungen macht, gerät in Abhängigkeit. Wenn man ihre «kalte Hundeschnauze» fürchtet, so ist ihr das recht. 47
    Der Parteitag von Leipzig 2003 schien alle Attacken und Intrigen gegenstandslos zu machen; und doch gewann der Widerstand der Männer in CDU und CSU gegen die plötzlich sehr konkret werdende Aussicht einer Kanzlerkandidatin nun erst an Schub.
    Nicht nur die Routine der Grabenkämpfe zwischen den Unionsparteien verlangte wieder ihr Recht. Auch die Befriedung der Männer, die ihre Anciennitätsrechte gegen Merkels Status einer
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