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Die Patin

Die Patin

Titel: Die Patin
Autoren: Gertrud Höhler
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CDU-Themenpark ist einige Jahre in einem Geschäft unterwegs, das man Ideen-Leasing nennen kann: Ganz nebenbei erwirbt sie bei diesem Pick-up and push away -Business neue Kompetenzen, die für den nächsten Karriereschritt nützlich sind: Angela Merkel lernt Ankündigungsdemokratie. Sie macht nämlich die Erfahrung, dass schon nach kurzer Zeit niemand mehr Rechenschaft über ihre vorgestern geäußerten Gedanken verlangt. Wo ist sie geblieben, die Neue Soziale Marktwirtschaft? Wo hat sie es aus den Augen verloren, das ‹Christdemokratische Jahrhundert›, immerhin ein faustdickes Epochenprojekt? Niemand fragt. Das macht die Markttesterin noch unabhängiger. Selbst ihr Tauchgang in den Rheinischen Kapitalismus, ihr Überraschungs-Retro zu Ludwig Erhard, den sie von allen CDU-Leuten der Gegenwart wahrscheinlich am wenigsten kannte, blieb exakt von da an folgenlos, als sie den Beistand aus den Ewigen Jagdgründen der West-CDU als unergiebig erkannt und entsorgt hatte.
    Die Dichte der Merkel-Zitate aus den Ahnengalerien und Ikonensammlungen der alten CDU nahm rasant zu, nachdem Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010 tief ins Jagdrevier der CDU vorstieß. Auch wenn es niemand so nannte: Schröder vollzog einen Rechtsruck, an dem er scheiterte. Dieser Rechtsruck bestätigte eine ganze Handvoll Glaubenssätze der Marktwirtschaftler aus CDU, CSU und Liberalen. Merkel öffnete den Waffenschrank der Christdemokraten und fand keine Allzweckwaffe jüngeren Datums – nicht zuletzt deshalb, weil sie selbst in der Großen Koalition bereits mit einem sehr diskreten Linkskurs ins Revier der Sozialdemokraten eingebrochen war. Was tun?
    Merkels Idee muss es wohl gewesen sein, alle traditionellen Stärken von CDU, CSU und Liberalen in einer offensiven Ankündigungspolitik zu sammeln, um die Truppen rechts von dem nach rechts gerückten Bundeskanzler unter bewährten Formeln zu sammeln. Reinrassige Merkel-Botschaften hatte selbst die Kanzlerin der Großen Koalition nichtentwickelt, und selbst wenn: Das Bild der Vorsitzenden und großkoalitionären Kanzlerin schillerte noch immer in den Köpfen ihrer Partei. Nur die alten Botschaften konnten die Mehrheit mobilisieren. Das grüne Lager blieb einstweilen Reserve für besondere Aufbrüche. Wenige Jahre später sollte ganz Deutschland verstehen, welche Epochenwende die Herrscherin zur Entmachtung der grünen Partei inszenieren würde.
    Was die Testfahrerin Merkel im Themenpark ihrer ehrwürdigen Partei ohne jede Ehrfurcht aber mit kühlem Kalkül sichtet, ist nichts anderes als in der Geistesgeschichte des Abendlandes die ehrwürdige Runde der «Auctores», der Autoritäten, die jeder kannte, der an der Geschichte mitschreiben wollte. Schon in der griechischen Antike begegnen uns Mythen, die das Bild konkret machen: Da flieht Aeneas aus dem brennenden Troja, seinen Vater Anchises auf den Schultern und seinen Sohn Askanios an der Hand. Wer heute lebt, steht auf den Schultern seiner Vorgänger, dieses antike Geschichtsgleichnis lebt in vielen Varianten in allen Völkern. Angela Merkel spürte, dass die Zuflucht bei den Autoritäten der Partei, in die sie selbst erst spät verschlagen worden war, den Halt in den Herzen der Menschen geben kann, den sie als Kopfperson nicht liefern konnte.
    Wer die Toleranz der Presse mit Merkels Probeflügen in angestaubte CDU-Ideen-Archive beobachtet, der fragt sich, ob sie einen Bonus hatte? Ein Freifahrticket für ein paar Proberunden im Themenpark der CDU? Und machte sie in der Großen Koalition etwas anderes? Schauen, was geht, mitmachen, wo Widerstand sinnlos ist. Abwarten, bis mehr Macht angesammelt ist. Das ‹Fremde›, das sie abstrahlt, mag ihr lange einen gewissen Höflichkeitsabstand, ein Geduldsprogramm der Journalisten garantiert haben. Warum? Weil sie immer wieder aus der Routine der Westpolitiker ausbrach, und zwar in gegensätzliche Richtungen. Einmal so naiv, dass ein Schutzmechanismus beim Fragesteller ansprang, und ein andermal so hermetisch, dass der Gesprächspartner zurückwich, als habe er an ein Trauma gerührt, das schmerzt. Der Merkel-Bonus also: ein Paradox. Die Gesamtwirkung dieser bis heute singulären und rätselhaften Führungsfrau in der deutschen Politik beruht ebenfalls auf paradoxen Effekten, die wir ergründen müssen.
    Erlkönigin auf der Rüttelstrecke: Testfahrerin Angela Merkel im Themenpark der CDU
    Noch einmal gewinnt Angela Merkel Zeit in der Warteschleife. Rot-Grün regiert, und Merkels Testfahrt im Themenlager
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