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Die Patin

Die Patin

Titel: Die Patin
Autoren: Gertrud Höhler
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Die CDU habe den «geistigen Führungsanspruch», so ruft sie den Delegierten im Saal zu, und selbst ein Satz wie «Schröder macht alles kaputt» muss nun sein, auch wenn er im taktischen Gesamtkonzept der Merkelschen Erfolgslinie eigentlich keinen PLatz hat: viel zu eindeutig. Viel zu festgelegt.
    Aber die Entfesselung von viel altvertrautem CDU-Wortschatz – «neue Gründerjahre!» –, flankiert von der «Neuen sozialen Marktwirtschaft» hatte eine Gesamtstimmung der Delegierten, deren massives JA Merkel für ihre Machtzukunft brauchte, zum Ziel.
    Endlich nicht mehr ein paar Grad unter der ersehnten Stallwärme mit der unterkühlten Vorsitzenden unterwegs, sondern angekommen im rauschhaften Festival, das morgens noch den nüchternen Namen ‹Parteitag› trug: Eben weil die kühle Chefin nun diesen Temperaturanstieg zuließ, fiel der Beifall umso dankbarer aus. Vielleicht, dachten manche, gehört sie doch irgendwann ganz zu uns. Für das angestrebte Ziel, die Kanzlerschaft, war es kein zu hoher Einsatz, bilanzierte Merkel im Stillen. Niemand weiß genau, an welchen von den präsentierten Glaubenssätzen sie wann geglaubt hat. Was wir aber wissen ist, wie schnell und wie schmerzfrei die Machtpolitikerin Merkel sich von all jenen Zukunftsvisionen getrennt hat, wenn erkennbar wurde: Das läuft nicht. Sie liefert keine Erklärungen, sie gibt niemandem Rechenschaft über ein Scheitern oder Abrücken von vorher zentralen Zielen. Sie wechselt einfach die Position, schaltet kommentarlos um. Was nicht geht, wird fallengelassen. Da es sich nie um Bekenntnisse handelt, kostet das nicht viel Kraft.
    Mit dem Wachstum ihrer Machtfülle hat sie dann die großen Worte nicht mehr nötig. Sie bewirbt sich ja nicht mehr um Ämter, sondern alle Welt fantasiert, welche Ämter man für sie erfinden könnte. Profilierungstestläufe hat sie nicht mehr nötig. Als «Königin von Europa» ( Die Welt ) greift sie nur noch bei taktischer Dringlichkeit zum Weichzeichner, umzum Beispiel einen kläglichen Kompromiss der Profi-Retter Europas in ein «Meisterstück» umzufälschen.
    Bevor diese internationale Alleinstellung der deutschen Kanzlerin erreicht wird, greift die Testfahrerin nach Themen, die so klare Konturen haben, dass sie sicher sein kann zu erfahren, ob mit diesen Tankern christdemokratischer Nachkriegsgeschichte überhaupt noch Fahrt und Kurs zu machen ist. Wie passt ein Ludwig-Erhard-Revival zu Merkels Plan, die ‹modernste Volkspartei Europas› zu kreieren? Will sie nur sichergehen, das todsichere Mehrheitsthema zu finden, egal wo, das ihr dann endlich den Kurs erlaubt, auf dem sie sich beliebig schnell und beliebig weit von jedem CDU-Erbe entfernen kann? Oder ist «Ludwig Erhards zaghafte Erbin» 41 tatsächlich auf eine Entdeckung gestoßen, die sie in der Sache fasziniert – anders als all die Slogans, mit denen sie ihr Wahlvolk begeistern konnte, ohne selbst begeistert zu sein? Die ‹Neue soziale Marktwirtschaft› hat Merkel schon vor 2003 in ihr Testprogramm aufgenommen, ohne mit dem Verweis auf Ludwig Erhard eine neue Pionierstimmung in der CDU wecken zu können. Zugleich wollte sie den Garanten des Deutschen Wirtschaftswunders nicht so schnell aufgeben; denn die Abgrenzung zur SPD, die nach der Großen Koalition den Weg für einen kleinen, gefügigen Partner freimachen sollte, war über den Besitzanspruch auf das Erbe Ludwig Erhards doppelt gesichert: Das Staunen in der CDU über den Rückgriff der fremdsozialisierten Chefin auf den Garanten des westlichen Wirtschaftswunders versprach eine Image-Korrektur für Merkel, die sie gar nicht auslassen konnte. Das Ansehen der Vorsitzenden, so Merkels Idee, würde von der Glaubwürdigkeit der Autorität am fernen Horizont profitieren. Die doppelte Sicherung erfasste die kleine FDP gleich mit, die zwar Ergänzungen zum ErhardPorträt aus ihrer eigenen Geschichte liefern konnte, aber nicht Widerspruch. So erwies der Rückgriff auf den Wundermacher Erhard sich zumindest in der Planung als Mehrzweckwaffe. Aus der Partei selbst konnte man die News zunächst im Flüsterton hören, so als wäre über einen Alleingang der Chefin zu berichten: ‹Sie liest jetzt Ludwig Erhard.Sie entwirft eine Neue Soziale Marktwirtschaft.› Eine Mitteilung, in der Bewunderung für die Wandlungsfähigkeit der eigensinnigen Vorgesetzten mitschwang: geheime Kommandosache! Erhard-Renaissance! Nicht weitersagen! – Die klassischen Brandbeschleuniger liefen also gleich mit.
    Die Testfahrerin im
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