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Die Oder gluckste vor Vergnügen

Die Oder gluckste vor Vergnügen

Titel: Die Oder gluckste vor Vergnügen
Autoren: Rolf Ulrici
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Beiboot hin.«
    Sie verließ die Kajüte. Ich sah hinaus: Vor der Bucht lag der Gartzer Dampfer. Er bewegte sich vor und zurück, als warte er, und die Leute sahen alle herüber.
    Bibi kam zurück und berichtete hastig. Der Minister war am Herzschlag gestorben, heute nacht, in seiner Wohnung in Berlin. Man hatte in Swinemünde angerufen, die Pensionswirtin hatte an Pustekohl verwiesen, dessen Adresse Bibi und Cotta bei ihr hinterlassen hatten. Daraufhin hatte man mit Pustekohl telefoniert, und dieser wieder hatte die Hafenmeisterei von Stettin mobilisiert. Da man das Boot im Hafen nicht fand, war Pustekohl frühmorgens zur Dampferanlegestelle gegangen. Der Käpt’n vom Dampfer »Sieg« hatte unsere Einfahrt in die Oder beobachtet, und nun war er es, der uns die Nachricht überbrachte. Zufällig hatte er Bibi erwischt, als sie im Beiboot über den Strom fuhr, um Milch zu holen. Nun hatte Bibi Cotta geweckt.
    Cotta stand schon fix und fertig da. Der Dampfer wollte beide mit nach Stettin nehmen. Von da aus wollten sie den ersten schnellen Zug nach Berlin benutzen.
    Ich fuhr Cotta zum Dampfer hinüber. Dann Bibi. Dann die Koffer.
    Der Dampfer fuhr äb. Ich lag mit dem Beiboot mitten auf dem Strom. Bibi und Cotta standen am Heck, Cotta ganz in Bibis Obhut. Sie standen eng beieinander, wie damals, als ich sie kennenlernte. Das Bild verschwamm. Der Dampfer fuhr um die Krümmung.
    Am übernächsten Tag fuhr ich nach Berlin.
    Bibi und Cotta sah ich nie wieder. Da war die Beerdigung. Da war die Anstandsfrist. Und Bibi verreiste mit ihren Eltern gleich weiter. Mit Bibis Eltern mußte es doch noch Ärger gegeben haben. Ich bekam noch ein, zwei Briefe: Bitte abwarten, nicht melden.
    Dann nichts mehr.
    Cottas Mutter löste den Haushalt auf, wie ich hörte, und zog nach Kiel. Und ich wurde zu Verwandten nach England geholt. Ich schrieb einmal an Tante Norma. Bibi sei nicht mehr in Berlin, erfuhr ich. Da gab ich’s auf. Die neue Umgebung, das Studium im fremden Land nahmen mich in Anspruch. Und wie das so geht: Die Bilder verblaßten, man ist jung. Man weiß nicht, daß sie eines Tages wiederkehren werden, mit um so größerer Leuchtkraft als zuvor.

    Anmerkung der Sekretärin: Dies ist nun der Schluß, liehe Frau Cotta. Weitere Aufzeichnungen finden sich nicht. Der Chef ist noch in Amerika. Gruß Luthcher.

    P. S. Eben kommt ein Brief vom Chef. Er will sich schriftlich bei Ihnen melden.

Nach Hollywood kommt das Leben

    Beverly Hills, Kalifornien,
    Santa-Anna-Hospital im Park...

    Liebe Cotta,
    ich bin nun also kein Dichter, habe Schlager gemacht und Drehbücher und Filme, solche, die Du Dir bestimmt nicht ansiehst. Daß sie erfolgreich sind, verrät mein »kultiviertes Heim« und mein »Haus in den Bergen« — beides neulich in der Zeitschrift »Film, Heim und Dame« abgebildet.
    Mein Sternenflug hat — wie mein Absender schon ahnen läßt — nicht in den Hollywooder Ateliers, sondern im Rollstuhl geendet. Mein Raucherbein macht mir zu schaffen (Gewebe-Durchblutungsstörung infolge Nikotinmißbrauches). Außerdem wurden mir die Mandeln herausgenommen, wegen Herz und Nieren. Du bist Ärztin, reim Dir das zusammen. Es steht aber nicht hoffnungslos um mich. Ich mache schon wieder Pläne.
    Vor allem hatte ich Zeit und Muße nachzudenken. Die Luthcher hat Dir das Manuskript geschickt, wie ich hörte. Und darin ist alles gesagt. Und doch, das eigentlich Wichtige noch nicht. Daß Du Dich gemeldet hast und daß ich hier festgeleimt hin und daß ich mir manches überlegen konnte... Es mag Dich überraschend treffen... ach, kurz gesagt, ich will Dich heiraten. Ich habe dafür sehr triftige Gründe. Einmal ist es die kleine Narbe aus der Scheune von Herrn Priefert hinter Mescherin. Sie wird mich zeitlebens begleiten, und ich werde sie dem lieben Gott mit in den Himmel bringen. »Die Narbe von der Oder.« (Er wird sagen: »Oder? Die liegt doch nicht mehr in meinem Gebiet.«)
    Der zweite Grund: Auf der Oderinsel, drunten, erfuhrst Du den Tod Deines Vaters. Damals waren wir beisammen. Wir standen auch beisammen, als Du Deinen Vater das letzte Mal sahst. Der dritte Grund ist der, daß man das, was man zuerst geliebt hat, nicht verloren geben soll.
    Es ist ein Irrtum, zu glauben, es gebe kein Zurück, gehen wir doch alle pausenlos zurück und enden prinzipiell hinter derselben Klappe, aus der wir hervorgetreten sind. Das vierte Argument: Ich bin treu. Was Dir alle Freundinnen bestätigen können, die ich inzwischen verlassen habe.
    Dein
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