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Die Oder gluckste vor Vergnügen

Die Oder gluckste vor Vergnügen

Titel: Die Oder gluckste vor Vergnügen
Autoren: Rolf Ulrici
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unwiderruflich allerletzte Aufforderung an mich, durch die Sperre zu kommen.
    »Die Kommode?« rief Fräulein Luthcher. »Das ist doch die, von der der Schlüssel fehlt!« Der fehlte seit sechs, acht Jahren. »Da kann ich nicht heran.«
    »Sie können!« rief ich. »Holen Sie die Feuerwehr.«
    »Aber was ist darin?«
    »Ach so.« Ich entschuldigte mich bei dem Zollbeamten und raste noch einmal zurück. »Ein Haufen Zettel«, sagte ich. »Ein Manuskript. Schreiben Sie es säuberlich ab und schicken Sie es Cotta — ich meine, Frau Schmitt nach Stuttgart.«
    »Manuskript«, nahm Fräulein Luthcher zur Notiz.
    »Ja, aber kein Drehbuch. Ein Roman. Ein Roman über Bibi und Cotta. Die Überleitungen überlasse ich Ihrem Scharfsinn.«
    »Welche Über...«
    »Na, den Zusammenhang. Es sind Zettel. Es sind...«
    »Heftseiten?«
    »Wenn Sie’s wissen wollen, Toilettenpapier«, rief ich. »Jedermann, der in englischer Internierung war, kennt es. Es ist auf der einen Seite glatt und ließ sich beschreiben. Beschriften. Wir haben auch Zigarettenpapier daraus gemacht.«
    Und damit ging ich durch die Sperre und flog über London und den Nordpol nach Los Angeles, nach Hollywood. Dort sollte ich einen Film machen. Große Ehre. Aber ich dachte bei mir, der tollste Film, den du je gemacht hast — das war der mit Bibi und Cotta. Und während ich so dachte, schickte sich Fräulein Luthcher an, mit Hilfe des Klempners den Zettelhaufen zu erschließen, um die Aufzeichnungen abzutippen und an Cotta zu schicken.

Eine Wetterfahne für Bibi

    1936 — Olympiajahr, Juni, am Dianasee in Grunewald, im Haus von Tante Norma. Ich hatte Verwandtentag. Ich war einundzwanzig. Mein Vater war als Forscher »auf den Spuren hellenistischer Kultur in Ostturkestan« verschollen, hatte drei Broschüren zurückgelassen und ein bescheidenes Konto, von dem ich schlecht und recht studierte. Ich konnte das Wohlwollen der Verwandten nicht entbehren. Deshalb mopste ich mich da herum.
    »Und wer sind die Mädchen?« fragte ich.
    »Die gehören eigentlich nicht dazu«, sagte Tante Norma. »Die kleine Percotta habe ich für drei Tage in Pension, und Bibi ist ihre Freundin,«
    So fing die Geschichte an.
    Bibi und Cotta, sechzehndreiviertel und siebzehn, luchsten aus der Ecke. Bibi sortierte pfeilschnell ihre Zöpfe (Schulter links, Schulter rechts... links, rechts, links...), als hätte sie nicht nur zwei, sondern zwanzig Zöpfe.
    Als der Großonkel Köffbauer der Tante die Blumen im Papier überreichte, aber die Nadeln herausnahm und sie sich hinters Revers steckte, gab Bibi Cotta einen Stups. Cottas Augenbrauen rutschten bis unter die schwarze Ponyfrisur. Und dann kicherten sie kkkkk... ttttt... ppppp..., knickten in den Taillen weg und verschwanden.
    Beim Kaffee stibitzte Cotta für Bibi Halbgefrorenes.
    Ich fragte: »Darf ich auch etwas hinzutun?«
    »Bitte?« Zwei Gesichter, todernst, über die Blumenschale gereckt. Augen, cottagrün und bibiblau. Völlige Neutralität. Der Wechsel erfolgte immer blitzschnell.
    Da begann Onkel Köffbauer, Kapitän a. D., mit seinem Vortrag: »Der verewigte Reichspräsident von Hindenburg an Bord meines Dampfers.« Er sagte: »Reiss-präsident«, scharfes S, er hätte damit ein Tischtuch durchschneiden können.
    Beim erstenmal ging das noch. Beim zweitenmal noch gerade, aber dann war das dritte fällig. Eigentlich war es dieses »Reiss«, das uns zusammenbrachte. Auf das dritte warteten wir schon gemeinsam, als Blickdreieck über die Blumenschale hinweg.
    Als es der Onkel Köffbauer dann herausdonnerte, war es zuviel. Ich verschluckte mich am Zigarettenrauch, und Cotta und Bibi verschwanden hinter dem Tisch. Schon aber kam der Onkel mit einem Papp-Photo, auf dem der Hindenburgdampfer abgebildet war. Nach der gloriosen Schilderung hatte man gedacht, es sei ein Kriegsschiff. Es war aber nur ein Bäderdampfer mit Korbstühlen und einer Kantine mit dem Schild Stollwerckschokolade. Ich habe nicht mehr gesehen, wo der Reichspräsident eigentlich war. Ich sah nur noch, wie Cotta und Bibi auf die Terrasse sausten, wie Bibis Rockzipfel um die Ecke verschwand. Dann hörte man ein Kreischen, daß man glauben konnte, es komme vom Verschiebebahnhof Grunewald.
    Der Onkel schwärmte nicht nur für Hindenburg, sondern auch für Röcke. Er nahm es gnädig. Er sagte etwas Altfränkisches, wie »Gänse wollen schnattern und flattern« oder so. Und dann fragte er: Welche Nichten, wievielten Grades und aus welcher
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