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Die Oder gluckste vor Vergnügen

Die Oder gluckste vor Vergnügen

Titel: Die Oder gluckste vor Vergnügen
Autoren: Rolf Ulrici
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Bibi. »Der Vater hat’s verboten. Ich meinte nur, wenn mein Vater so wäre, würde ich mir das Gesicht schwarz anschmieren und aus dem Fenster springen.«
    »Vom Hochparterre?«
    Bibi lachte, wurde aber gleich wieder ernst. Ich hatte Krokantplätzchen mitgenommen und reichte ihr eins.
    »Danke«, sagte Bibi. Zopf und Hand kamen hurtig über den Blumenkasten.
    »Cottas Vater kriegt so. ab und zu die Wut, wissen Sie? Er ist krank, kann nur auf Krücken gehen. Und nun...«
    Jetzt dämmerte es mir. »Percotta...? Ist das nicht der Minister aus dem Brüning-Kabinett?«
    Tante Norma hatte von ihm erzählt. Ein Hüne von Mann, der Tod und Teufel nicht fürchtete. Als man ihn verhaften wollte, hatte er einem seiner Schergen das Nasenbein zerdroschen. Nur ein Schlaganfall hatte ihn vor dem Schlimmsten bewahrt.
    Soweit ich Bibi verstand, hatte der verbitterte Mann in einem Wutanfall gesagt, Cotta dürfe nicht mit dem Rad weg, denn sie würde unter einen Landsknechtslümmel kommen, wo doch das ganze fahrende Jungvolk unterwegs sei.
    »Unter einen Landsknechtslümmel kommen«, sagte Bibi so geläufig wie: »Unter den Omnibus kommen.«
    Also, das war kein Thema mit Bibi.
    »Ob ich mal mit ihm spreche?«
    »Nein«, sagte Bibi entsetzt, »der haut Sie tot.«
    »Hm. Und Sie? Sie dürfen dann auch nicht mit?«
    Keine Frage. Selbstverständlich nicht.
    Also doch: Gesicht schwarz anschmieren, aus dem Fenster springen!
    »Mein Vater hätte mich ja gelassen«, sagte Bibi. »Aber nur mit Cotta...«
    Wir schwiegen. Ich nahm einen von Bibis Zöpfen. Sie gestattete das.
    »Tja, Bibi. Wer spielt nun mit dem Wasserball?«
    Plötzlich zog sie den Zopf ein, daß er wie eine Schlange durch die Balkonblumen raschelte. Sie hatte ihre Eltern erspäht, die vom S-Bahnhof kamen.
    Ich ging am Lietzensee entlang nach Hause. Leere Mietboote lagen still. Ein Kandelaber machte Mondschein. Dort, wo wir hingefahren wären, gab es einen Fontanesee. Da hatte der alte Dichter auf dem Bauch gelegen und nach der versunkenen Stadt gespäht. Er wollte die Fische um den Kirchturm schwimmen sehen. Die Fische konnte man nicht fangen. Die versunkenen Eichen zerrissen den Fischern immer das Netz...
    In einer Eckkneipe kaufte ich mir eine Flasche Wacholder. Zu Hause wacholderte ich mich in einen tiefen Stumpfsinn hinein.
    Auf dem Schreibtisch lag mein »Sterbender Cäsar«, der nun umsonst starb; jetzt brauchte ich ja niemandem mehr ein Drama vorzutäuschen. Es war alles aus.
    Am Morgen klopfte es an die Tür. Nein, kein Anruf. Nur der kleine Junge vom Portier war gekommen, ein schüchterner, schieläugiger Pimpf mit Wasserscheitel und Jungvolkmontur. Sein Rad sei kaputt, sagte er. Ob er vielleicht meines kriegen könnte. Er wollte mit seiner Pimpfengruppe zur Sonnenwendfeier nach Gütergotz.
    Ich forderte das Schicksal heraus. Ich gab ihm mein Rad in der Hoffnung, daraufhin würden sich Bibi und Cotta doch noch melden. Aber sie meldeten sich nicht.
    Ich kaufte mir eine zweite Flasche Wacholder und überstand mit ihrer Hilfe die nächste Nacht.
    Morgens wachte ich auf, krank am Magen und an der Seele.
    Neben dem Kanapee stand der indische Untermieter. Ob er schon zur Olympiade da war — gleichviel, er wohnte hier, und nun stand er da, trotz der Frühe schon in Bart und Turban.
    »Sie werden vom Telefon angerufen«, sagte er höflich.
    »Vom Telefonamt?«
    »Pardon, nein, von Dame«, sagt Mr. Singh.
    Es war zwanzig vor sechs. Ich schwankte auf den Flur und nahm den Hörer. Da war ein zartes, rasches Stimmklirren hinter der Wacholderhecke, die mich dicht umgab.
    »Wie...?« fragte ich dumpf.
    Das Klirren wurde perspektivisch zum Gellen. Es war ein Lachen, Kichern und Schnattern. Wie ich später erfuhr, wegen des Inders. Weil er sich mit den Worten gemeldet hatte: »Wer ruft hier?«
    Und dann verstand ich. »Hier Bibi. Cotta steht neben mir. Kommen Sie gleich zum Treffpunkt. Wir fahren.«
    Fahren! Ich hatte kein Rad mehr.
    »Beeilen Sie sich! Cotta will rasch aus Berlin ‘raus, damit sich’s der Vater nicht anders überlegt!«
    Da stand ich nun. Wo kriegte ich um sechs Uhr morgens ein Rad her? Als ich aus dem Badezimmer kam, waren Bibi und Cotta wieder am Telefon.
    »Cotta hat einen Plattfuß!«
    »Na, und?«
    »Der Reifen hat keine Luft, aber das liegt vielleicht an der Luftpumpe«, quietschte Bibi aufgeregt. »Wir haben eine, und die zieht nicht richtig. Kommen Sie doch rasch mal nach Witzleben.«
    Ich sagte, ich hätte kein Rad, geschweige denn eine Luftpumpe. Der
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