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Die Oder gluckste vor Vergnügen

Die Oder gluckste vor Vergnügen

Titel: Die Oder gluckste vor Vergnügen
Autoren: Rolf Ulrici
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geht dahinten auf und ab...«
    Während sie warteten, machten sie Schularbeiten. Auf Parkbänken oder auf Mauersockeln: Schularbeiten machten sie, wo sie gingen und standen, so mechanisch, wie man eine Uhr aufzieht. Manchmal kamen sie, Turnbeutel schwenkend, vom Sportplatz. Cotta hatte ein Notizbuch mit, in das sie alle Reiseberechnungen eintrugen. Bibi hatte meist eine Eiswaffel in der Hand.
    Aber im KaDeWe, bei den Reiseeinkäufen, war sie ganz bei der Sache. Bibi und Cotta kauften Badetaschen. Sie kramten, daß das Wachstuch nur so flog.
    »Nimm die rote hier«, rief Bibi.
    »Steht mir nicht«, sagte Cotta, als wär’s ein Hut. »Vielleicht die graue? Nein, Grau macht alt.« Schwupp — wie ein Diskus sauste die Tasche auf den Haufen zurück. Sie einigten sich auf Badetaschen mit Olympiaringen.
    Ich ließ sie um mich herumkreisen von Stand zu Stand. Die Köpfe wurden immer röter, die Augen glänzten immer mehr.
    »Bootsschuhe, weiße... Da braucht man Kreide... Nußöl? Nee, was für Nüsse sind da drin? Affennüsse sicher...«
    Sie machten den Eindruck, als wollten sie an Ort und Stelle den ganzen Sommer aufkaufen. Bibi ging besonders rücksichtslos vor.
    Sie guckte in ihr Portemonnaie. Dort war unverkennbar Ebbe. Sie neigte sich zu Cotta. Ebenso unverkennbar: Cotta sollte pumpen. Cottas schwarze Augenbrauen rutschten V-förmig zur Nasenwurzel. Der grüne Blick sprühte Unwillen. Aber Bibi siegte, bekam fünf Mark und kaufte sich einen Wasserball. Sie schwärmte vor sich hin. »Ach, heute in fünf Tagen... Fahren wir auch an den Werbellinsee? Da schwimme ich. Und wo kommen wir an die Oder? Bei Schwedt, hast du gesagt? Cotta, hör mal, Cotta! Also, da schwimme ich auch.«
    »Du kannst von hier aus losschwimmen«, sagte Cotta. »Über Schiffshebewerk Niederfinow. Dann brauchst du bis Swinemünde gar nicht aus dem Wasser ‘raus.«
    Das letzte Treffen hatten wir am Olivaer Platz, bei den Rosen. Wir saßen auf Fünf-Pfennig-Stühlen, und Bibi machte die Kassiererin nervös, weil sie alle paar Sekunden auf einem anderen Stuhl saß.
    Cotta entbreitete eine Generalstabskarte und rollte mit einem Kilometerzähler die Strecke ab.
    Eine alte Dame neben uns dachte, das sei ein Schnittmusterbogen. »Na, was wird es denn für ein Kleid?«
    Endlich kicherten die beiden mal wieder. So, nun war aber auch alles fertig geplant. Treffpunkt: Übermorgen früh, Bismarck Ecke Leibniz. Mit Rad.
    Ich brachte sie zum Omnibus. Bibi war so aufgeregt, daß sie vergaß, mir die Hand zu geben.

    Aber dann rief Bibi an und sagte, es sei alles aus.
    Ich war am Abend bei Bekannten — kleines Gartenfest — , die Bowle floß in Strömen. Es war wie Sommer-Advent.
    Da klingelte das Telefon im Gartenzimmer. Die Dame des Hauses nahm den Hörer ab.
    »Wie...? Ja, der ist hier! Ein was? Ein Junge?«
    »Wer hat einen Jungen gekriegt?« rief jemand. »Wieviel wiegt er? Was macht die glückliche Mutter?«
    Das Gespräch war für mich.
    Meine Wirtin ließ sagen, es habe ein kleiner Junge angerufen, Bübi mit Namen. Zwischen ihm und mir sei alles aus.
    Tumult. Ich erstarrte. Bübi. Bibi. Die Schafe hatten sich wieder als Jungen ausgegeben. Von Staats wegen waren solche kleinen Irrtümer damals sehr teuer.
    Ich nahm den Hörer.
    »Ja«, sagte meine Wirtin, »hier hat wieder so ein kleiner Junge angerufen. Diesmal hieß er Bübi.«
    »Bibi«, stellte ich richtig. »Ein Mädchen. Na, und?«
    »Sie konnten nicht zusammenkommen.«
    »Zusammen — Gedankenstrich — kommen«, sagte ich. »Noch etwas?«
    »Nein.«
    Das reichte. Es hieß, die Ostsee war ins Wasser gefallen. Anscheinend hatte ein Erziehungsberechtigter eingegriffen. Ich blätterte im Telefonbuch. Rufus... Doktor... Witzleben...
    Bibi war gleich selbst am Apparat. Ihre Eltern waren aus, im Allgemeinen Turnverein oder so ähnlich. Um mich herum war es so laut, daß ich sie kaum verstehen konnte.
    »Gesicht schwarz anschmieren...«, verstand ich, »auf die Straße springen...«
    »Ich komme hin«, sagte ich.
    Bibi sagte mir, sie werde mir aus dem Fenster heraus alles erklären.
    »Aus dem vierten Stock?«
    »Nein, vom Hochparterre.«
    Es war elf Uhr, als ich Bibis Straße in Witzleben erreichte. Bibi stand auf dem dunklen Parterrebalkon. Als sie mir die Hand gab, rutschte ein Zopf mit über die Geranien.
    »Was war das für eine Schauergeschichte?«
    Bibi war sehr zurückhaltend, so ohne Cotta. Nur die Kopfbewegung, wenn sie auslugte, ob jemand kam, war flink wie immer.
    »Cotta kann nicht«, sagte
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