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Die Oder gluckste vor Vergnügen

Die Oder gluckste vor Vergnügen

Titel: Die Oder gluckste vor Vergnügen
Autoren: Rolf Ulrici
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Verwandtschaftskante?
    »Wahlverwandtschaft«, sagte die Tante. Denn auf dem Verwandtentag mußte außer den Dienstboten alles verwandt sein.
    Ich fand die beiden auf dem unbewohnten Nachbargrundstück. Cotta hatte den Großonkel Köffbauer auf eine Speisekarte gezeichnet, ein Spielzeugschiff im Schlepp und darauf eine Hindenburgfigur, wie sie aus Pappmaché für die Spielzeugsoldaten der Kinder im Handel waren. (Die Firma hieß Lineol.) Übrigens gab es auch solche Hitlerfiguren. Sie konnten den Arm im Scharnier zum Gruße recken. (Mein Onkel Wernher hatte sich in einem Anfall kauziger Wut für zehn Mark Hitlers gekauft, alle auf den Tisch gestellt und ihnen den Arm ausgerissen. Heil Hitler? Na, warte mal, so! Die Arme lagen dann alle in einer Reihe daneben. Eine Art des Widerstandes für den deutschen Mann, Himmel, ja.)
    Wir gingen am Seeufer spazieren. Cotta links, Bibi rechts, ich in der Mitte.
    »Meine Freundin Barbara Rufus«, hatte Cotta gesagt. Und sie hatten mir die Hand gegeben, Cotta eine schmale, kühle Hand, Bibi eine warme Patschhand.
    Sie gingen jetzt sehr gemessen. Sie hatten ihre erwachsene Minute. Aber es bestand eine geheimnisvolle Telegrafie zwischen den beiden. Mitten im Gespräch neigte sich Bibi vor und guckte zu Cotta. Und Cotta neigte sich vor und guckte zu Bibi.
    Bibi schaute auf den See und sagte: »Jetzt sind ja bald Ferien.«
    »Wegen der Olympiade früher als sonst«, sagte Cotta. Am anderen Ufer sah man die Straßenbahn 76.
    »Wo fahren Sie denn hin?« fragte ich.
    Bibi geriet wieder in Schräglage und peilte zu Cotta.
    Cotta sagte: »Spreewald.«
    Bibi sagte: »Ja.«
    »Also, Sie fahren gemeinsam?«
    »Rad«, sagte Cotta.
    »Lübben, Lübbenau, hm, ganz schön«, meinte ich. »Aber die brackigen Kanäle...Spreewald ist mehr etwas für den Herbst.«
    »Cotta ißt gern Spreewaldgurken«, sagte Bibi.
    »Jedenfalls lieber als Kuchen«, sagte Cotta. »Ja. Meine Eltern verreisen nicht, weil mein Vater immer krank ist — und so fahre ich mit Bibi.«
    Es war das Jahrzehnt der Radtouren. Auch ich wollte mit dem Rad weg. »An die Ostsee.«
    »Allein?« fragte Cotta.
    »Ich will nämlich schreiben«, sagte ich. »Nehme mir ein paar dicke Hefte mit und viele Bleistifte. Und wo es schön ist, setze ich mich hin und schreibe.«
    »Was schreiben Sie denn?« fragte Bibi.
    »Ein Drama«, sagte ich. Ich merkte, daß es gut klang. Bibi und Cotta wandten mir Gesichter zu, in denen sich nichts bewegte. Die Augen waren groß, größer als sonst.
    »Na ja«, sagte Bibi gedehnt. »Wenn Sie dichten, müssen Sie allein fahren.«
    Cotta blieb stehen. Ihr Blick war sozusagen gerunzelt.
    »Na ja, ich meine nur«, sagte Bibi. Sie zeigte sich nicht im geringsten verwirrt. »Ostsee... ach ja, prima...« (Sie sagte »prima«.) »Schwimmen... Kann man im Spreewald schwimmen?«
    »Das wirst du ja sehen«, sagte Cotta kühl.
    Bibi hopste wieder und warf unsichtbare Bälle. Es waren Ostseebälle, so viel merkte man.
    Um abzulenken, sagte Cotta: »Du wolltest doch noch Kuchen, Bibi.«
    Ich erbot mich, welchen zu holen. »Aber so kurz vor dem Abendessen?«
    »Kuchen mag ich immer«, sagte Bibi. Und fügte hinzu: »Lieber als Gurken.« Das ging jetzt ganz zweifellos gegen den Spreewald.
    »Was soll denn das heißen?« fragte Cotta scharf.
    »Die Anrichte ist in dem Zimmer mit der Tapetentür«, sagte Bibi.
    Ich ging und holte den Kuchen. Als ich durch die Hecke kam, unterbrachen Bibi und Cotta eine hitzige Diskussion.
    »So«, sagte ich. »Wünschen Sie sonst noch etwas?«
    Bibi kaute und sah sich um und sagte: »Was ich sonst noch wünsche... ach, na, vielleicht...« Und ungeniert: »Die Wetterfahne vom Dach!«
    »Du hast ja einen Knall«, sagte Cotta.
    Bibi stellte das zweite Törtchen auf eine Steinvase und packte ihre Zöpfe mit den Fäusten. »Wieso?« sagte sie. »Er hat ja gefragt!« Dann guckte sie zum Dach empor.
    Ich tappte über eine der drei Hintertreppen hinauf. Das Haus hatte viele Teildächer und Türme, Wetterfahnen gab es also genug. Aber die einzig erreichbare war neu und stabil. Sie drehte sich in einem Scharnier, das jeder Sturmgewalt gewachsen war. Die Demontage würde Stunden dauern. Es würden Ziegel hinunterfliegen, entweder auf einen Onkel oder auf ein parkendes Auto.
    Ich gab es auf und sprang zurück in den Bodenraum. Etwas Scharfes klappte hoch und schlug gegen mein Schienbein. Es war eine Wetterfahne, die alte, ausgewechselte. Das rostige Ungeheuer nahm ich unter den Arm und brachte es Bibi. Ein
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