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Die Oder gluckste vor Vergnügen

Die Oder gluckste vor Vergnügen

Titel: Die Oder gluckste vor Vergnügen
Autoren: Rolf Ulrici
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Arm schützend um Gerda.
    »Cotta, schau«, sagte Bibi, »schau dir das an!«
    Ein Wunder an navigatorischem und diplomatischem Manöver brachte ich nun zustande. Während ich mit einer Hand an den Kai steuerte, versuchte ich die Kampfhühner zu beschwichtigen.
    »Gerda fährt mit dem Dampfer zurück«, sagte ich. »Es war längst ausgemacht, daß es kein Geschrei und kein Gepetze gibt. Weder über Waldszenen noch über Ballszenen noch über sonst etwas. Vielleicht denkt ihr daran, daß ihr mehr Freiheit habt als Gerda — und daß sich daraus manches erklärt. Laßt sie in Ruhe! Sie wird euch auch in Ruhe lassen.«
    »Ja«, schluckte Gerda. »Ehrenwort. Und ihr sagt meinem Vater nichts?«
    »Kommt drauf an, ob du Wort hältst«, sagte Bibi milder.
    »Ich schwöre!«
    Solche Jammertöne erweichten die Gegenpartei. Man gab sich die Hand.
    Der Rest ging in Anlegebetriebsamkeit unter.
    »Ich bringe Gerda zum Dampfer. Wartet ihr hier?«
    »Worauf du dich verlassen kannst«, rief Bibi zuckersüß.
    Als ich mit Gerda hinter einem Fahrkartenhäuschen in Deckung stand, sagte ich: »Mach dir nichts draus! Es war alles nicht so gemeint.«
    »Ach, die und ich — wir waren uns ja niemals grün.« Gerda hatte jetzt nur Angst vor ihrem Vater. »Die werden nicht petzen?«
    »Nie.«
    »Ich bin ja auch nur aus Langeweile mitgekommen«, sagte sie. »Damit Sie sich nichts einbilden! Wenigstens weiß ich jetzt, wie man Wasser aus einem Boot schöpft.«
    »Mal sehen, ob du’s vor Schreck verlernt hast«, sagte ich.
    Es war ein Abschiedskuß auf dem Pulverfaß. Aber den war ich ihr schuldig...
    »Rex«, empfing mich Bibi, noch in Sensationslust badend, »du bist ein Teufel, der in der Not Fliegen frißt. Ausgerechnet Gerda. Nun erzähl mal genau...«
    »Ich bin dafür, wir sparen uns solche Gespräche«, sagte Cotta. »Entweder gehen wir beide von Bord — oder wir machen alle drei einen Schlußstrich unter Swinemünde.«
    »Schlußstrich«, rief Bibi vergnügt. »Ich wollte ja nur fragen, ob die doofe Schrippe wirklich küssen kann.«
    »Bibi«, sagte Cotta, »noch ein Wort, und ich steige aus.«
    »Bin ja schon still«, sagte Bibi. »Also was machen wir?«
    »Ich muß erst verdauen, wie ihr mit dem armen Ding ins Gericht gegangen seid«, sagte ich.
    Sie sahen mich an. Unschuldig wie zwei Tiger, die ein Schaf gerissen haben. »Das bißchen Gehässigkeit?« fragte Bibi. »Kommt sogar unter Königinnen vor. Wenn du ein Abonnement im Schillertheater hättest, wüßtest du das.«
    »So was muß sich ein Dichter sagen lassen«, sagte Cotta lächelnd.
    Sie gingen einkaufen.
    Wir hatten beschlossen, auf der Insel Bibiwerder ein Versöhnungsfest zu feiern.

Nach Bibiwerder kommt der Tod

    Bibi hängte Lampions auf. Sie sprang wie ein Pferd auf den Fußboden, daß die Hütte wackelte. Wenn es draußen blitzte, wurde das Fenster hell. Der Donner prasselte auf uns herab, erst spitz, dann immer breiter grollend.
    »Das Gewitter muß genau über Bibiwerder sein«, meinte Cotta.
    Aus der blauen Seide des Tages war erst graue Seide geworden. Dann ballten sich Wolken, und unversehens brach über die untere Oder das Unwetter herein. Die Bäume bogen sich, das Schilf und die Büsche an den Ufern brausten.
    Schon als wir Stettin verließen, war alles so sonderbar. Mit einem Male war das liebliche Binnenland wieder da. Wir kehrten in die Arme der Oder zurück. Aber sie sah anders aus als sonst.
    Mit einem Fluß ist’s überhaupt ein besonderes Ding. Fährt man ihn hinunter, so sieht man, wie er allmählich seine Glatze kriegt und grauer wird. Fährt man ihn hinauf, so wird die Landschaft enger und jünger und grüner. Es ist der unnatürlichere Weg.
    Und so ein Wetter hatten wir noch nicht gehabt. Erst herrschte drückende Stille. Alles verschwamm in der Ferne, erschien aber in der Nähe doppelt so klar und so groß. Wie eine Fata Morgana tauchte der Dampfer »Sieg« auf und fuhr auf seinem kopfstehenden Spiegelbild daher. Er tutete zur Begrüßung. Er kannte uns wieder. Wir tuteten lustig zurück.
    »Nun sind wir wieder zu Hause«, sagte Cotta. Zu Hause — das war der Fluß. Hier waren die Ferien wieder wie in den Tagen, da sie am frischesten gewesen waren.
    Aber es meldete sich leise Wehmut. Wir kehrten erfahrener zurück. Selbst wenn es schön war: Auch erfüllte Hoffnungen sind verlorene Illusionen. Wir wußten, jetzt konnte nur noch eines kommen: Gleichgültigkeit, Abflauen des Interesses. Oder das Gegenteil: Ein Ende mit Schrecken. Und da wir jung
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