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Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure
Autoren: Christa S. Lotz
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Lion, der für mich wie ein Herr war …«
    Die Untersuchungen der Fälle Alois Breitnagel und des Patriarchen Cornaro zogen sich über drei Monate hin. Cornaro war geständig, wie auch der Abt Lion seine Verbrechen zugegeben hatte. Der Frühling kam ins Land, und mit ihm kamen die Zugvögel, die aus allen Bäumen sangen, die ihr erstes zaghaftes Grün zeigten. Kleine Wolken zogen über den tiefblauen Himmel, und von der Lagune her wehte eine sanfte Brise, die den Duft nach Mandelblütenmit sich brachte. Vor dem Dogenpalast hatte sich wieder einmal eine Menschenmenge versammelt. Drinnen tagte der Rat der Zehn unter dem Vorsitz des Dogen Priuli, verhandelt wurde der Fall Alois Breitnagel, den man der Unzucht mit einer Nonne überführt hatte. Celina, Christoph und Andriana hatten sich unter die Anwesenden gemischt. Celinas Gesicht glühte vor Spannung. Ob Breitnagel nun seine gerechte Strafe bekommen würde? Unruhe machte sich breit, denn die Bevölkerung war diesem Rat mit der Zeit immer feindlicher gesinnt. Zu sehr hatte er die Menschen dieser Stadt bespitzelt, zu stark hatte sich die Macht in den Händen weniger konzentriert. Als ihnen die Zeit zu lang wurde, begannen sie rhythmisch zu klatschen. Kinder spielten um die Todessäulen herum Fangen.
    Endlich öffnete sich das Tor, und der Doge Geralomo Priuli, die zehn Räte, der Ankläger, der über den Gang des Verfahrens wachte, sowie die Angeklagten Breitnagel und der Patriarch kamen langsam die Treppe herunter. Breitnagels Gesicht wirkte grau und wie versteinert, der Patriarch hatten die Hände vors Gesicht geschlagen. Der kleine Zug hielt an, und der Gerichtsschreiber baute sich mitten auf der Treppe auf. Er zog eine Papierrolle aus einer Tasche seines grauen Wamses, entfaltete sie langsam und las mit lauter Stimme vor: »Bürger von Venedig, Gott sei mit ihr für alle Zeiten, hört das Urteil der weisen Zehn über diese Männer. Alois Breitnagel aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation wurde überführt, einer Nonne beigewohnt zu haben. Dies haben Andres Veluti, ein Gastwirt aus Venedig, sowie ein Herbergsvater bezeugt. Er wird bestraft mit zehnjähriger Verbannung aus der Stadt. Diese Strafe kann er jedoch nur antreten, wenn er tausend Dukaten in die städtische Kasse zahlt, sonst muss er unter erschwerten Bedingungen für drei Jahre ins Gefängnis.«
    Die Menge klatschte lauten Beifall. Das ist zu milde füreinen, der so viel auf dem Gewissen hat wie er, dachte Celina.
    Der Gerichtsschreiber fuhr fort: »Für den Mord an Nanna Tarabotti, den der Patriarch Francesco Cornaro begangen hat, und die versuchten Morde an Celina Gargana wird dem Schuldigen die höchste Strafe zuteil. Er wird binnen weniger Tage hier auf dem Markusplatz durch Vierteilung hingerichtet.«
    Celina wurde es gleichzeitig heiß und kalt. Die Strafe für die anderen Täter mochte gerecht sein. Aber nur, weil Breitnagel wohlhabend war, konnte er sich freikaufen, musste lediglich durch Verbannung büßen, die er sicher irgendwie umgehen würde!
    »Kommt«, sagte sie zu Andriana und Christoph, die genauso entgeistert aussahen wie sie. »Hier haben wir nichts mehr verloren.«
    Über dem Markusplatz lag eine stille Trauer. Die Konturen von Markuskirche, Dogenpalast, Porta della Carta , Uhrenturm und Prokuratien, den Verwaltungsgebäuden, verschwammen zu einer grauen Masse. Auf dem fischgrätartig verlegten Ziegelpflaster hatten sich etliche Schaulustige eingefunden. Alte Frauen in schwarzen Mänteln bekreuzigten sich, Priester eilten hin und her, und mitten durch die Menge jagten zerlumpte Kinder einen räudigen Hund. Die Uhr auf dem Turm schlug elf Mal. In der Mitte des Platzes waren die Bücher zusammengetragen worden, es mussten wirklich etwa zehntausend an der Zahl sein, wie Celina bemerkte.
    Mein Gott, was ist das für ein Verbrechen! dachte sie. Da haben sich führende Geister unserer Republik und anderer Länder angestrengt, haben das Höchste und Geistreichste, das Tiefsinnigste und Lustigste geschrieben, zu dem sie fähig waren – und nun alles auf einem Scheiterhaufen, nur weil ein paar Inquisitoren und Gremien diese Bücher fürketzerisch befunden hatten. Es bedeutet das Ende für die venezianische Bücherwelt.
    »Das ist nicht das Ende«, raunte Brinello ihr zu, als habe er ihre Gedanken erraten. »Sie wissen gar nicht, wie so etwas auf die Massen wirkt. Wenn auch nur wenige Exemplare dieser Bücher vorhanden bleiben, wird man sie uns schon bald aus den Händen reißen. Und
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