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Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure
Autoren: Christa S. Lotz
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so werden sie die Jahrhunderte überdauern. Nehmt einmal die Lutherbibel – wie oft ist die schon verbrannt worden! Die Schriften Thomas von Aquins sind im Sommer der spanischen Inquisition entronnen, weil keine Exemplare aufzutreiben waren. Die hatten seine Anhänger sicher gut versteckt. Und auch wir werden wieder auferstehen mit unseren Büchern. Du weißt, wo wir sie versteckt haben.«
    »In der Fischerhütte in Mestre, da ist auch mein Roman«, flüsterte sie zurück.
    »Steckt eure Köpfe nicht zusammen, es gibt nichts zu tuscheln«, schrie ein Mann der Signoria und schwang einen Knüppel. »Gleich wird der Haufen angezündet, und dann ist Schluss mit allem reformatorischen Gerede.«
    Andere Mitglieder der Signoria schleppten Strohballen herbei. Der Stoß wurde mit Fackeln entzündet. Es knisterte, Rauch stieg auf, Flammen züngelten heraus. Bald brannte der gesamte Haufen, die Zuschauer mussten zurückweichen wegen der Hitze, die das Feuer ausströmte. Celina sah, wie einzelne Bücher sich öffneten, als wollten sie um Hilfe schreien. Wenn einer der Zuschauer dieses oder jenes Buch retten wollte, bekam er den Knüppel eines Signori zu spüren. Das Feuer sang und zischte, schwoll an zu einem ohrenbetäubenden Krachen und Knacken. Der Haufen sank allmählich in sich zusammen.
    Der Markusplatz war schwarz von den Menschen, die sich dort versammelt hatten, der Himmel war von schwerengrauen Wolken bedeckt; alles erschien Celina so grau, wie es ihr noch nie im Leben erschienen war. Zwischen den beiden Säulen zur Lagune hin war ein Schafott aufgebaut, auf dem der Henker in seiner rotgrünen Kleidung stand. In dem Stimmengewirr konnte Celina keine einzelnen Bemerkungen hören. Es wurde totenstill. Aller Augen wandten sich zur Treppe des Dogenpalastes, auf der Lion erschien, begleitet von dunkel gekleideten Männern einer Bruderschaft. Einer von ihnen trug das Kreuz neben ihm her und redete ihm zu, während Lion auf den Richtblock zuschritt, der auf dem Schafott stand. Gelegentlich stolperte er, und jedes Mal ging ein Stöhnen durch die Menge. Lion schaute sich einen Moment um, bevor er niederkniete und seinen Kopf auf den Richtblock legte. Der Henker brachte das Beil in seinem Nacken in Position. Celina wagte kaum noch zu atmen. Alle hielten den Atem an. Der Henker schlug mit seinem Knüppel auf das Beil. Celina zuckte zusammen, aber nichts geschah. Scheinbar unverletzt kniete der Abt immer noch vor dem Richtblock. Der Henker schlug noch einmal zu, dreimal, viermal, fünfmal, achtmal. Der Kopf wollte sich nicht vom Körper trennen. Die Menge begann unruhig zu werden, da und dort war ein Zischeln zu hören. Ein Mann aus der Bruderschaft ergriff den Knüppel und versetzte dem Abt vier weitere Schläge. Vergeblich. Celina hatte das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen. Der Henker schlug verzweifelt auf das Beil ein, ohne Erfolg. Schließlich reichte ihm eine der Wachen ein scharfes Messer, mit dem der Henker schließlich sein Werk vollenden konnte. Der Kopf rollte auf die Erde, mit verdrehten Augen und heraushängender Zunge, wie eine Fontäne schoss hellrotes Blut aus dem Rumpf.
    Ein Mann in der Kleidung des päpstlichen Nuntius stieg auf das Schafott und rief mit lauter Stimme: »Ich, Ippolito Capilupi, bin als Gesandter des Papstes in Eurer Stadt,Bürger. Es ist Gottes Urteil, das es dem Henker so schwergemacht hat, diesen Verbrecher vom Leben zum Tode zu befördern. Aber nun ist die Strafe vollstreckt.«
    Die Menge brach in tosenden Beifall aus; alles drängte sich um das Schafott, um einen Blick auf den enthaupteten Abt zu werfen. Celina sah zu ihren Freunden hinüber, die während der Hinrichtung mit ausdrucklosen Mienen dagesessen waren. Eine elegante Frau mit gelbem Schleier stand bei ihnen. Als hätte sie Celinas Blick bemerkt, wandte sie ihren Kopf und winkte ihr zu. Gleich darauf war sie bei ihr; sie duftete wie immer nach Bergamotteöl.
    »Ich hoffe, du hast das alles gut überstanden«, sagte Andriana. »Verzeih, wenn ich so mit der Tür ins Haus falle, ich habe es den anderen schon gesagt. Die euch drohende Inhaftierung und Verurteilung ist nicht rechtens. Ich habe mit dem päpstlichen Gesandten gesprochen, Ippolito Capilupi. Er sagt, ihr habt euch um die Republik Venedig verdient gemacht, indem ihr einen Feind derselben ausfindig gemacht und zur Strecke gebracht habt. Papst Pius IV. selbst hat sich zum Inquisitor ernannt und einen neuen Prozess gegen euch vier als Häretiker verlangt. Er ist jedoch
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