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Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure
Autoren: Christa S. Lotz
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spürte ein flaues Gefühl im Magen. Eugenio wischte sich mit einer Damastserviette den Mund ab und nahm den Brief entgegen. Er brach das Siegel. Faustina beugte sich zu ihm hinüber und versuchte, einen Blick darauf zu werfen.
    Eugenio lehnte sich zurück und begann zu lesen. Celina sah, dass er unter seiner Sonnenbräune erbleichte.
    »Was ist mit meinen Eltern?«, fragte sie mit klopfendem Herzen.
    »Celina, du musst jetzt stark sein«, sagte Eugenio.
    »Was ist passiert? Sag es mir!«, rief Celina.
    Eugenio räusperte sich. »Das Schiff ist in einen Sturm geraten. Seitdem ist es verschollen.«
    »Das kann nicht sein! Das glaube ich nicht!«, schrie Celina. »Von wem ist der Brief?«
    »Vom Verwalter der Marmorsteinbrüche in Istrien. Andere Seeleute haben ihm von dem Unglück berichtet. Sie haben mit eigenen Augen gesehen, wie das Schiff abtrieb und aus ihrem Blickfeld verschwand. Sie vermuten, dass es untergegangen ist.«
    Celina schossen Tränen in die Augen. Der Schmerz war so stark, dass sie aufsprang und die Treppe hinauf in ihr Zimmer lief. Dort warf sie sich auf das Bett. Die Sonne schien schräg zum Fenster herein, die Grillen hatten ihr schrilles Konzert wieder begonnen.
    Celina sah ihre Eltern vor sich, wie sie ihr zum Abschied zugewinkt hatten, wie der leichte Wagen davonfuhr, der sie nach Venedig auf das Schiff bringen sollte. Es konnte nicht wahr sein, Eugenio hatte sich gewiss getäuscht. Sie presste die Faust auf den Mund, ihre Augen brannten, sie schluchzte in ihr Kissen hinein. Dann hielt es sie nicht mehr in dem Zimmer. Sie stand auf, lief hinaus, die Treppe hinunter, durch den Hof, am Springbrunnen vorbei den Weg, den sie kurz zuvor vom Fluss gekommen war. Alles war unverändert, die Welt war nicht stehen geblieben. Der Reiher saß bewegungslos in der Krone einer Erle. Celina setzte sich auf die grasige Böschung, umschlang ihre Knie.
    Ich glaube es nicht, dachte sie, ich glaube es erst, wenn ich sie vor mir sehe. Aber warum sollte ihr Eugenio die Unwahrheit erzählen? Sie hatte doch selbst gesehen, wie er beim Öffnen des Briefes bleich geworden war. Wenn ihre Eltern tot waren, hatte sich mit einem Schlag alles, was sie und Celina je an Zukunftsplänen gehabt hatten, verändert und war völlig ungewiss geworden. Was wäre, wenn Onkel und Tante sie an einen Mann aus der Umgebung verheiraten würden? Schlimmer noch, wenn ihre Verwandten sienicht bei sich behalten wollten und sie verstießen? Diese Vorstellung verursachte ihr Übelkeit.
    Sie straffte ihren Körper, stand auf und ging mit langsamen, wie traumverlorenen Schritten zum Haus zurück. Als sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufgehen wollte, hörte sie Eugenio und Faustina durch die offene Tür im Garten miteinander sprechen.
    »Das kannst du ihr nicht antun«, sagte Faustina. »Gerade jetzt, wo …«
    »Es muss sein«, entgegnete Eugenio. »Du weißt, was für uns auf dem Spiel steht, meine Liebe.«
    Was redete er da? Celina wollte nichts mehr hören, presste die Hände auf die Ohren und stürzte in ihr Zimmer hinauf. Im Bett zog sie sich die Decke über den Kopf. Eine Zeitlang lag sie da und hing ihren Gedanken nach. Dann erklangen Schritte auf der Treppe; die Tür quietschte leise. Jemand stand neben ihrem Bett.
    »Celina«, hörte sie ihren Onkel sagen. »Nimm die Decke vom Kopf, bitte.«
    Sie warf die Decke beiseite und setzte sich auf den Bettrand.
    »Wir haben dich immer gern gehabt«, fuhr Eugenio fort, »haben auch gern für dich gesorgt, als deine Eltern meinten, diese Reise zu den Steinbrüchen antreten zu müssen.«
    Celina wartete gespannt.
    »Wir müssen dich in ein Kloster in Venedig geben«, sagte ihr Onkel. »Es ist keinerlei Mitgift für dich da. Deine Eltern haben nicht vorgesorgt.«
    »Warum kann ich nicht hierbleiben?«, begehrte sie auf. »Das gehört doch alles uns.«
    »Ja«, antwortete Eugenio. »Und dazu der armselige Palast in Venedig. Ihr Vermögen aber ist mit deinen Eltern untergegangen.«
    »Und die Häuser?«
    »Die gehören jetzt dem Hause Fugger, den Bankleuten, die ihnen Geld für die Steinbrüche gegeben haben.«
    Celina sah sich hilfesuchend um, doch es war niemand da. Ihr Blick fiel auf den istrischen Marmor des Hauses, der im Licht glänzte. Für diesen Marmor hatten die Eltern ihr Leben verloren.
    »Wie lange kann ich noch bleiben?«
    »Etwa einen Monat. Solange brauche ich, um die Angelegenheit mit dem Kloster zu regeln.«
    In den nächsten Tagen verhielten sich Onkel Eugenio und Tante Faustina
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