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Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure
Autoren: Christa S. Lotz
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Palazzo Ducale blendeten sie. Die Reichen trugen purpurfarbene Togen, die übrigen Männer farbenprächtige, enge Strümpfe und Wämser aus Samt. Ein Markt wurde abgehalten. Es gab orientalische Stände, mit bunten Markisen, fremdartigen Speisen; Schlangenbeschwörer, Bauchtänzerinnen und Sklavenhändler waren unter das Volk gemischt. Viele Menschen waren maskiert, obwohl es erst Ende September war und die Theatersaison mit den ersten Karnevalsfesten erst im Oktober beginnen würde. Celina hörte das Schwatzen der Menschen, das Rufen der Händler, roch den eigenartigen Dunst der Kanäle, eine Mischung aus Seife, brackigem Salz und Eseldung. Dicht an den orientalischen Markt grenzte ein deutscher Teil, in dem Bier ausgeschenkt und gebratene Ferkel angeboten wurden.
    »Nimm nur Abschied von der Welt«, sagte Eugenio Gargana.
    Wie ein schwarzer Schatten legten sich diese Worte auf Celinas Gemüt. Wofür musste sie so schwer büßen? Eugenio nahm sie an der Hand und zog sie hinter sich her. Es dauerte eine Weile, bis sie am Dogenpalast und dem Markusdom vorbeigekommen waren. Zwei Gassen dahinter stand das Kloster San Zaccaria. Wie viele der benachbarten Gebäude war es aus hellem istrischem Stein erbaut. Celina musste wieder an ihre Eltern denken. Der Lärm des Marktes drang nur noch gedämpft hierher, maskierte Menschen eilten vorbei, dem Markusplatz zu. Das Tor des Klosters lag in tiefem Schatten; ein kühler Hauch wehte von dort herüber. Celina erschauerte trotz der Sonnenwärme. Ihr Onkel schob sie zum Tor und wandte sich zum Gehen. Celina stand wie erstarrt.
    »Auf Wiedersehen«, sagte Eugenio. »Wir werden dich bald besuchen.«
    Die Schritte des Onkels entfernten sich klackend. Sollte sie sich umdrehen, ihm hinterherlaufen, ihn auf Knien darum bitten, sie wieder mit nach Hause zu nehmen? Sollte sie weglaufen? Doch wohin konnte sie schon gehen? Dann gab sie sich einen Ruck, warf einen letzten Blick auf die Gasse, durch die sie gekommen waren, sog den Duft nach warmem Herbstlaub, nach dem brackigen Wasser der Kanäle ein und ging hinein. Eine Nonne in weißem Gewand kam auf sie zu. Ihr Gesicht unter dem Schleier wirkte hochmütig und verkniffen. Ihre Wangen waren rot, als hätte sie ein wenig Rouge aufgelegt.
    »Ich bin Margarethe, Pförtnerin des Klosters«, sagte sie. »Du bist gewiss Celina Gargana. Wir haben dich erwartet.«
    Die Nonne ergriff Celinas Ellenbogen und führte sie durch den Klosterhof. An dessen beiden Enden erhob sich ein Kreuzgang mit zwei übereinander gebauten Rundbogengruppen. Auf dem Weg begegneten sie einigen Nonnen, die sie freundlich grüßten. So schlimm kann es hier also nicht sein, dachte Celina. Das Besucherzimmer war ein großer Raum, ausgestattet mit bequemen Sesseln und einer Liege; in der Mitte war es durch ein Gitter abgeteilt. Überrascht stellte Celina fest, dass in den Nischen Fresken angebracht waren. Sie konnte nicht genau erkennen, was die Bilder darstellten, aber es schienen bacchantische Feste des alten Griechenland zu sein. Das Zimmer war angefüllt mit Männern, Frauen und Kindern, die ihre Verwandten im Kloster besuchten und ihnen dabei dies und jenes zusteckten, Münzen, Würste oder Konfekt.
    »In diesem Raum darfst du deine Eltern und Geschwister empfangen«, erklärte Margarethe. »Aber du musst das, was du von ihnen bekommst, bei der Äbtissin abgeben. Kennst du die Regeln des heiligen Benedikt?«
    »Meine Tante hat mich eingewiesen.«
    »Es gilt, was der Prophet sagt«, antwortete Margarethe. »Siebenmal am Tag singe ich dein Lob. Diese geheiligte Siebenzahl wird von uns erfüllt, wenn wir unseren schuldigen Dienst leisten zur Zeit von Laudes, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper und Komplet. Von den nächtlichen Vigilien sagt derselbe Prophet: ›Um Mitternacht stehe ich auf, um dich zu preisen.‹ Finde dich in einer Stunde in der Kirche zur Vesper ein.«
    »Darf ich eine Frage stellen, Schwester Margarethe?«
    »Nun?«
    »Warum sind so viele Besucher in dem Kloster?«
    »Unsere Laienschwestern und Chornonnen haben vielfältige verwandtschaftliche Beziehungen, das kommt unserem Kloster zugute.«
    Margarethe übergab Celina einer jungen Nonne, die sie schweigend zu ihrer Zelle geleitete und ihr dort ihre Habseligkeiten abnahm. Celina sah sich in dem Raum um, der von nun an ihr Zuhause sein sollte. Auf dem kalten Steinfußboden war trockenes Schilf ausgebreitet. Außer einer Strohmatratze und einem Kruzifix an der Wand war der Raum leer. Sie sank auf die Matratze und
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