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Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure
Autoren: Christa S. Lotz
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passierte die Zugbrücke, die hinter ihm hinaufgezogen wurde. Nun war er ganz allein und auf sich gestellt.
    Über Stuttgart und Ulm gelangte er in etwa zwei Wochen nach Augsburg, der Stadt der Fugger. Auf seinem Weg war er nicht aufgehalten worden, niemand hatte in sein Felleisen, den Rucksack mit dem Holzgestänge, hineingeschaut. Manchmal kaufte er etwas Mehl und formte mit Wasser einen Fladen daraus, manchmal auch ein Huhn; beides bereitete er dann abends an einem Feuer zu. Gelegentlich versorgten ihn Bauersfrauen mit Lebensmitteln.
    Sollte er sich nach Augsburg hineinwagen, an die Stätte, von der Luther einst nächtens fliehen musste, durch eine Gasse, die seitdem ›Dahinab‹ genannt wurde? Christoph beschloss, die katholischen Gegenden weiträumig zu umgehen, ritt des Nachts und schlief tagsüber hinter verborgenen Hecken. Glücklicherweise war das Wetter beständig. Tag für Tag stieg die Sonne über einen wolkenlosen Horizont, verwandelte die Landschaft in einen Backofen und ging abends rotglühend hinter Wolken unter, die sich wie Tintenkleckse in den Himmel ergossen.

3.
    Dieser Nachmittag würde der letzte sein, den Celina in Freiheit verbrachte. Sie war mit ihrem Onkel Eugenio von Bassano del Grappa zum Gestade des Adriatischen Meeres gereist. Das Land war hier flach, nur wenige Büsche und Bauminseln gab es hier. Vor ihr schwebte wie eine Fata Morgana die Inselstadt Venedig. Schimmernde Paläste, Kirchen und Türme waren zu erkennen. Zu ihrer Linken ragten einige kleinere Inseln aus der Lagune; hinter den Häusern schaukelten hohe Segel und Masten von Schiffen. Eine Gruppe von Fischern stand am Strand. Sie tranken Wein aus Steinkrügen oder flickten ihre Netze. Eugenio trat auf sie zu.
    »Könnt Ihr uns in die Stadt bringen?«, fragte er.
    Einer der Fischer nickte und schob ein schmales, flaches Ruderboot ins Wasser. Mit ein paar Scudi gab der Mann sich zufrieden und ruderte los. Die Sonne stach unbarmherzig herab und warf gleißendes Licht auf das Wasser der Lagune. Bunte Fische, Muscheln und Seegras waren in der Tiefe zu erkennen. Die Fahrt, die in Schweigen verlief, kam Celina vor wie ein Traum, an dessen Ende ein grausiges Erwachen stehen würde.
    »Was machst du für ein Gesicht?«, fragte Eugenio.
    »Ich habe Angst«, antwortete sie.
    »Und wovor?«
    »Davor, dass ich aus dem Kloster nicht mehr herauskomme.«
    »Dummes Zeug! Du solltest uns dankbar sein für dieses Opfer, das wir für dich bringen.«
    »Es gab in Bassano einmal ein Mädchen, das eines Tagesverschwand. Sicher ist sie auch in ein Kloster gekommen«, gab Celina zurück.
    »Ach was, wer hat dir denn solche Märchen in den Kopf gesetzt? Das hast du wohl aus deinen Romanen? Ich habe deinem Vater schon oft gesagt, er solle dir verbieten, sie zu lesen.«
    »Ich wollte selbst diese Bücher lesen, und Vater war damit einverstanden.«
    »Mädchen brauchen das nicht«, sagte Eugenio. »Entweder sie heiraten, oder sie müssen sich anders durchs Leben schlagen. Sei froh, dass du in dieses Kloster kommst. Eine solche Gelegenheit erhält nicht jedes Mädchen deines Alters und Standes!«
    Celina antwortete nicht. Als sie die ersten Bürgerhäuser und Palazzi erreichten, verengte sich das Meer zu einem Kanal. Sie fühlte sich wie geblendet, sah die Stadt mit ganz neuen Augen, obwohl sie schon lange hier lebte. An ihren Sommeraufenthalt in Bassano del Grappa wollte sie nicht zurückdenken; zu sehr schmerzte die Erinnerung daran. Die Fassaden am Canale Grande waren mit buntem oder glänzend weißem Marmor, mit Blattgold und Fresken überzogen. Viele Häuser erstrahlten in einem kräftigen Ziegelrot. Gondeln kreuzten immer wieder ihren Weg. Viele waren mit Aufbauten versehen, die ihre wohlhabenden Besitzer vor Regen schützen sollten. Auf samtenen Kissen saßen herausgeputzte Männer und Frauen, die sich von Dienern spazieren fahren ließen. Sie passierten einen Palast, der aus filigranem Elfenbein gebaut schien, die Ca’ d’Oro. Das Fondaco dei Tedeschi stand unterhalb der Rialtobrücke, die sich in einem kunstvollen Bogen über den Canale Grande spannte. Der Bau war, ähnlich wie die Ca’ d’Oro, aus filigran behauenem Stein und leuchtete weißgolden, rot und blau in der Sonne. Der Fischer trieb das Boot weiter den Canale Grande hinab und ließ die beidenam Markusplatz aussteigen. Gerüche nach Fisch und Gewürzen wehten herüber.
    Auf dem Markusplatz empfing Celina eine ungeheure Weite; das Gold des Domes und das fein gewebte Weiß des
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