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Die Nomadengott-Saga 03 - Die Weltenbaumler

Die Nomadengott-Saga 03 - Die Weltenbaumler

Titel: Die Nomadengott-Saga 03 - Die Weltenbaumler
Autoren: Gerd Scherm
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Wahrheit
    doch ein Steppenbrand sein,
    der alles und alle aufscheucht,
    damit sie sehen,
    was da lodert und leuchtet und brennt.
     
    An manchen Tagen
    brennen die Leuchtfeuer
    auf den Bergen,
    an anderen
    ist es nur einer Kerze Licht.
     
    Das Licht flackerte, und ein Luftzug berührte sein Gesicht. Sein Begleiter war zurückgekehrt. Wortlos nahm er das Blatt und las konzentriert Seshmosis' Text. Dann sagte er: »Es ist so weit. Ich führe dich nun in die Halle der Schreiber .«
    Bald erreichten sie eine große Tür. Seshmosis' Begleiter klopfte in einem bestimmten Rhythmus an, und kurz darauf öffnete sich in der Tür eine kleine Klappe.
    »Was ist dein Begehr?«, kam die Frage von innen, und der Begleiter antwortete: »Ein schreibender Mann bittet um Aufnahme in die Gilde der vollkommenen und auserwählten Schreiber im Orient Byblos.«
    »Wurde er von den Gildenwärtern geprüft?«
    »Er wurde geprüft.«
    »Sind sie mit ihm zufrieden?«
    »Sie sind mit ihm zufrieden.«
    »Kennt er das Passwort, das allein ihm Zutritt zur großen Halle gewährt?«
    »Nein. Aber ich kenne es und bürge für ihn.«
    »Dann mögt ihr beide eintreten!«
    Die große Tür öffnete sich, und sein Begleiter schob Seshmosis mit sanftem Druck in den dahinterliegenden Raum.
    Die große Halle strahlte im Glanz vieler Lichter. Am entgegengesetzten Ende saß ein Mann auf einem reich verzierten Stuhl. An beiden Längsseiten des Raumes befanden sich etliche Schreibpulte, jedes mit einer Kerze beleuchtet. Hinter jedem stand ein Mann im Kapuzengewand – die Schreiber der Gilde.
    Seshmosis wurde durch den Raum geführt, fast bis zu dem prächtigen Stuhl, auf dem der Meister der Schreiber saß. Vor diesem stand ein kleiner Altar, auf dem die Werkzeuge eines Schreibers lagen: Bronzegriffel, Wachs- und Tontafeln, Tintenfass, Papyrusblatt und Schreibried.
    Der Meister der Schreiber richtete das Wort an Seshmosis.
    »Willkommen in dieser Halle, die uns heilig ist! Wir freuen uns, dass du einer der Unseren werden willst. Erhältst du diesen Wunsch aufrecht?«
    »Ja«, antwortete Seshmosis mit einem Frosch im Hals.
    »Dann wollen wir mit dem Aufnahmeritual fortfahren. Sieh! Vor dir liegen die Werkzeuge des Schreibers. Doch es sind mehr als nur Werkzeuge, um Texte festzuhalten in der Flüchtigkeit der Zeit. Es sind auch Symbole, die uns bei unserer Arbeit und in unserem Leben Orientierung geben.«
    Seshmosis stutzte. So hatte er sich das mit der Gilde nicht vorgestellt.
    Er dachte, hier ginge es um Ehre, einträgliche Beziehungen und lukrative Aufträge. Nach seiner bisherigen Meinung war die Gilde der Schreiber nur eine weitere Zunft in Byblos, genauso wie die Purpurschneckenpresser, die Gewandschneider und die nichtgöttlichen Dirnen. Und wenn man es in dieser Stadt zu etwas bringen wollte, dann musste man eben zu der entsprechenden Gilde oder Zunft gehören. Doch das hier lief ganz anders.
    »Soll ich fortfahren, oder möchtest du diesen Ort verlassen?«, fragte der Meister der Schreiber. »Niemand wird dir zürnen, wenn du jetzt abbrichst.«
    »Nein, ich möchte weitermachen«, antwortete Seshmosis entschieden. Die bisherigen Ereignisse hatten ihn neugierig gemacht, und er wollte unbedingt wissen, wie es weiterging.
    »Gut, so sei es! Aufseher über die Schreiber, zeige dem Kandidaten den Griffel!«
    Wie aus dem Nichts stand ein Kapuzenmann neben Seshmosis und drückte ihm die Spitze eines Griffels an die Brust, genau in Höhe des Herzens.
    »Spürst du den Schmerz, den ein Griffel bereiten kann?«, fragte der Meister.
    »Ja«, gab Seshmosis bereitwillig zu, denn es tat wirklich weh.
    »Dieser körperliche Schmerz soll dich immer daran erinnern, welche Schmerzen geschriebene Worte zufügen können.«
    Nach einem kurzen Augenblick der Stille fuhr der Meister fort: »Aufseher über die Schreiber, zeige dem Kandidaten das Blut der Worte !«
    Seshmosis erschrak. Der Begriff Blut der Worte gefiel ihm ganz und gar nicht. Doch wider Erwarten wurde er weder verletzt, noch schüttete man Blut über ihn. Der Aufseher hielt ihm lediglich das Tintenfass vor die Augen, und der Meister sprach:
    »Dies ist Tinte, das Blut der Worte. So wie menschliches Blut, das den Körper verlassen hat, nicht mehr in diesen zurückkehren kann, so wird auch keine Kraft der Welt die Tinte eines geschriebenen Wortes in das Fass zurückzwingen können.«
    Und so weihten der Meister und sein Aufseher den mehr und mehr verzauberten Seshmosis noch in die Symbolik des schmelzenden Wachses,
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