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Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise

Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise

Titel: Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise
Autoren: Daria Charon
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der allerkleinste Hauch von Demut lag in ihrer Haltung. Ihr Blick war ungezwungen, als spräche sie mit einer Gleichgestellten. Und so selbstbewusst, als kenne sie bereits die Antwort.
    Einen Augenblick lang war die Marquise versucht, die Frage zu verneinen. Dann erinnerte sie sich an die unzähligen offenen Rechnungen, die auf ihrem Ebenholztischchen in Paris lagen, an den Comte de Saint-Croix und an den herrlichen Duft, der noch immer in ihrer Erinnerung gegenwärtig war.
    »Ja, Marie, ich werde dich mit nach Paris nehmen.«

2
    »Kommt gar nicht in Frage«, sagte Martin Callière entschieden, und Marie traute ihren Ohren nicht. Ihr Vater hatte den alten Gaul beinahe zu Tode gepeitscht, um sie rechtzeitig zur Marquise de Solange zu bringen. Und jetzt, da feststand, dass sie tatsächlich die Chance bekam, nach Paris zu gehen, legte er sich aus heiterem Himmel quer.
    »Gerade im Herbst brauche ich jede Hand auf den Feldern. Marie ist unentbehrlich, auch im Haus. Abgesehen davon«, er griff nach der auf dem Tisch liegenden Hand seiner Tochter und drückte sie demonstrativ, »ist sie mein Augenstern. Ich bringe es nicht über mich, sie so weit wegzuschicken. Das würde mir das Herz brechen.«
    Die Augen der Marquise verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Und welche Summe würde dein Herz wieder kitten?«, erkundigte sie sich spöttisch.
    »Vaterliebe liegt jenseits gemeiner Feilscherei.«
    »Wie viel?«, fragte die Marquise unbeeindruckt.
    »Tausend Livres.«
    Das helle Lachen der Marquise durchschnitt die Stille in Luc Serrants guter Stube. Sie schob den Sessel zurück und stand auf. »Behalte deinen Augenstern.«
    »Papa«, rief Marie entsetzt. Das durfte nicht wahr sein. Endlich wurden ihre Gebete erhört. Und ihr starrsinniger, geldgieriger Vater machte alles zunichte. Mit den Augen folgte sie der Marquise, die zur Tür ging, und betete inbrünstig, dass die Frau es sich anders überlegen mochte.
    »Fünfhundert Livres«, rief ihr Vater, doch die Marquise blieb nicht einmal stehen.
    Ihr Arm streckte sich bereits nach der Türklinke aus, als er seine Faust auf den Tisch krachen ließ. »Zweihundert Livres.«
    Die Marquise drehte sich langsam um. »Einhundertfünfzig.«
    Ihr Vater blies die Backen auf und atmete lautstark aus. »Einverstanden. Aber ich kriege das Geld sofort.«
    Die Marquise trat an den Tisch und zog einen Geldbeutel aus den Tiefen ihres Rocks. »Und ich bekomme deinen Augenstern. Morgen früh. Unversehrt.« Beim letzten Wort schenkte sie Marie einen warnenden Blick. »Morgen um elf bringst du sie hierher.«
    »Morgen um elf, Madame la Marquise.« Eilfertig sprang Martin Callière auf und verbeugte sich, ehe er die auf dem Tisch liegenden Münzen zusammenraffte.
    Marie, die ihren Vater beobachtete, wusste nicht, ob sie sich durch sein Verhalten abgestoßen fühlen oder ob sie einfach dem Schicksal danken sollte, dass sich alles zum Besten gewendet hatte.
    Die Marquise setzte sich wieder. Sie hatte für die Nacht die Kammer des Hauses gemietet. Zwar schauderte sie bei dem Gedanken an die unbequeme Bettstatt, doch es war nur für eine Nacht, morgen würde sie die Rückreise nach Paris antreten. Wenn schon nicht mit drei Mädchen, dann wenigstens mit einem.
    Kaum, dass Marie die Tür ihres Elternhauses geöffnet hatte, wurde sie von den Schwestern umringt. »Nun? Sag, Marie, gehst du nach Paris?«
    »Gehst du?«
    »Gehst du wirklich?« Die Mädchen plapperten aufgeregt durcheinander.
    »Natürlich geht sie«, sagte Elaine, die etwas abseits stehen geblieben war und die Szene mit vor der Brust verschränkten Armen beobachtete. »Seht euch ihre leuchtenden Augen an.«
    Marie hörte als Einzige die Verbitterung aus der Stimme ihrer ältesten Schwester. Im April war Elaine einundzwanzig geworden, und seit sie sich als kleines Mädchen mit kochendem Wasser verbrühte hatte, glich ein Teil ihres Gesichts einem knotigen, dunkelroten Narbengeflecht. Ihr stand weder der Weg nach Paris offen noch eine passable Ehe. Sie würde den Rest ihres Lebens als unbedankte Arbeitskraft im Haus ihrer Eltern verbringen und die beiden bis zu deren Tod pflegen. Oder ihrem eigenen.
    »Du hast Recht, Elaine. Ich werde nach Paris gehen«, erwiderte Marie ruhig und hielt dem Blick ihrer Schwester mit erhobenem Kopf stand. Sie erinnerte sich an den Schmerz, den sie empfunden hatte, als Antoine ihre wohlmeinende Geste wie einen Dolch gegen sie gerichtet hatte. Ein unerklärliches Verlangen, diesen Schmerz weiterzugeben, brachte sie
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