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Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise

Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise

Titel: Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise
Autoren: Daria Charon
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zwar nicht die Ersten, aber glücklicherweise sind wir vor den meisten anderen da.«
    Noch immer konnte sich Marie keinen Reim darauf machen, was das alles bedeuten sollte, und den Mienen ihrer Schwestern entnahm sie, dass es ihnen nicht anders erging. Am blank polierten Tisch in der guten Stube saß eine Frau. Sie hatte ihren Rücken dem Fenster zugekehrt, so war im Gegenlicht nur die Silhouette einer Lockenfrisur zu erkennen, auf der ein breitkrempiger, mit Federn geschmückter Hut thronte, jedoch nicht das Gesicht darunter.
    Andere Mädchen aus dem Dorf standen in einer Gruppe beisammen und blickten ihnen entgegen. Eine seltsame, ungreifbare Stimmung hing im Raum. Doch am seltsamsten war, dass niemand auch nur ein Wort sprach.
    »Ich habe die Kammer vorbereitet, Madame la Marquise. Sie steht jederzeit zu Eurer Verfügung.« Françoise, die Frau von Luc Serrant, kam aus einem Nebenraum und blieb vor dem Tisch stehen. »Kann ich noch weiter zu Diensten sein?«
    »Ich lasse dich rufen, im Augenblick wird es reichen.« Die Stimme der Frau klang voll und ihre Aussprache kultiviert. Sie neigte den Kopf zum Zeichen, dass Françoise entlassen war.
    Weitere Mädchen drängten in den Raum, inzwischen mochten es an die dreißig sein, die sich eingefunden hatten. Besser gesagt, von ihren Vätern hergebracht worden waren. Die Frau am Tisch nippte an einem Glas Wein und stand mit einer geschmeidigen Bewegung auf. Ihr braunseidenes Reisekleid raschelte leise, als sie auf die Mädchen zuschritt und knapp vor ihnen stehen blieb.
    Der Ausschnitt war mit dichter cremefarbener Spitze unterlegt, die eng anliegend auch den Hals bedeckte. Die weiße Schminke auf ihrem Gesicht ließ die Züge maskenhaft erstarren, die zinnoberrot gefärbten Lippen und Wangen wirkten vollkommen unnatürlich. Statt der Augenbrauen wölbten sich zwei dünne schwarze Striche auf ihrer Stirn.
    Sie war kleiner als die meisten Mädchen, hielt sich aber so gerade, dass sie eindrucksvoll wirkte. »Ich bin die Marquise de Solange. Ich bin gekommen, weil ich einigen von euch eine Chance auf ein besseres Leben bieten will.« Sie machte eine Pause und ließ ihre Worte auf die Anwesenden wirken. »Immer wieder suchen wohlhabende, adelige Familien in Paris nach anstelligen Zofen und Dienstmädchen. Sie schätzen den Arbeitseifer, der euch Landleuten nachgesagt wird, die Ehrlichkeit und die Unverdorbenheit.«
    Maries Herz begann heftig zu klopfen. Paris. Der Name klang wie Musik in ihren Ohren. Konnte es möglich sein, dass sie nicht zu einem lebenslangen Dasein in diesem elendigen Nest verdammt war? Aufmerksam lauschte sie den Worten der Marquise, die mit gemessenen Schritten die Reihe der Mädchen entlangwanderte.
    »Aus diesem Grund bin ich auf der Suche nach jungen, anstelligen Frauen, die einen untadeligen Lebenswandel führen. Ihnen biete ich die Chance, in Paris ein neues Leben zu beginnen.«
    Gemurmel erhob sich. In den Gesichtern zeichneten sich Hoffnung und Furcht gleichermaßen ab. Die Marquise hob die Hand, und sofort herrschte wieder Schweigen.
    »Ich kann nicht alle von euch mitnehmen, ich kann nicht einmal die Hälfte von euch mitnehmen«, verkündete sie und ließ ihre Augen über die jungen Frauen wandern. »Ich kann bestenfalls drei von euch nach Paris mitnehmen und in adeligen Haushalten unterbringen. Das heißt, dass ich sehr viele von euch enttäuschen muss und dass meine Auswahl eine sehr strenge ist.«
    Sie trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme. »Alle, die älter als zwanzig Jahre sind, dürfen gehen.«
    Einen Augenblick lang herrschte Stille, dann löste sich knapp die Hälfte der Mädchen von der Gruppe. Auch Elaine und Véronique waren dabei.
    Marie krampfte die Hände ineinander und wartete, was die Frau wohl als Nächstes sagen würde.
    »Alle, die jemals an den schwarzen Blattern oder am Veitstanz erkrankt sind, dürfen sich ebenfalls entfernen.«
    Die Marquise de Solange schwieg, bis vier Mädchen den Raum verlassen hatten. Ihre Augen glitten über das verbleibende Dutzend. Sie unterdrückte ein Seufzen. Diese beschwerlichen Touren durch die Provinz führten ihr immer deutlicher vor Augen, dass ihre Knochen ebenso schnell alterten wie ihr Gesicht.
    Ihr Kopf schmerzte von der Fahrt in der stickigen Kutsche. So schlimm wie dieses Mal war es noch nie gewesen. Und wie es schien, fand sie auch in diesem Nest kein geeignetes Mädchen. Das hieß, sie musste sich dem unglückseligen Geschaukel der Equipage noch länger
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