Die Neunte Gewalt
das Labyrinth der Luftschächte im gesamten Gebäude ausbreiten. Nach der Evakuierung der Anlage befand sich Leeds' tödliches Geld dann nur noch ein Streichholz weit von der Vernichtung entfernt.
Der Fährmann zog sich vollends durch den Riß aus dem Sack. Er blieb auf dem toten Geld sitzen und legte die Maske und den Luftbehälter ab. Er befand sich in der dritten unterirdischen Etage. In den Stockwerken unter ihm lagen die Reißwölfe und Öfen, in denen das alte Geld vernichtet wurde, direkt über ihm die beiden Stockwerke, in denen Leeds' vergiftete Scheine aufbewahrt wurden.
Kimberlains Augen brauchten einen Moment, um sich an das spärliche Licht dieser Etage zu gewöhnen. Er blinzelte ein paarmal schnell, um sie klarzubekommen, und kletterte vom Geldstapel. Als er sich im Raum umsah, erstarrte er auf der Stelle.
An einer der Wände lagen Leichen, Dutzende, säuberlich aufgestapelt und alle mit den Uniformen des Personals bekleidet, das diese Einrichtung eigentlich bewachen sollte. Sie waren ermordet worden, und damit stand eine unzweifelhafte Wahrheit fest:
Alle Wachen waren von Leeds' Leuten ersetzt worden, die nun die Anlage kontrollierten. Männer, die – genau wie Hedda – das Produkt von Leeds' Projekt Renaissance waren, womit sie zumindest ernstzunehmende Widersacher waren. Aber das war natürlich noch nicht alles!
Leeds war hier! In dieser Anlage!
Und er mußte gewußt haben, daß Kimberlain kommen würde.
Kimberlain schätzte die Situation blitzschnell ab. Obwohl Leeds ihn erwartete, bestand die Möglichkeit, daß der Verrückte noch nichts von seiner Anwesenheit wußte. Kimberlain stieg vollends den Geldstapel hinab und lief zu den Fahrstühlen. Der Fährmann drückte den Knopf mit dem nach oben weisenden Pfeil, und keine dreißig Sekunden später glitt die Kabinentür auf.
Sie hatte sich kaum zur Hälfte geöffnet, als einer von Leeds' sechs persönlichen Leibwächtern schon auf den Abzug drückte. Zwanzig der dreißig Kugeln der Maschinenpistole wurden in einer Salve von nicht ganz drei Sekunden abgegeben, und dann sprang der Mann aus der Kabine, um den Job – falls nötig – zu einem Ende zu bringen.
Kimberlain hatte sich gegen die Wand neben der Fahrstuhltür gedrückt, als die Kabine anhielt. Er erkannte den Schützen als einen der sechs, die ihn auf der Insel Devil's Claw an der Eisenkette herumgeführt hatten. Der Fährmann rammte eine Faust gegen die Kehle des Mannes. Die Wucht des Schlags trieb den Adamsapfel tief in die Kehle. Gurgelnd versuchte der Mann, seine Waffe herumzuschwingen, doch Kimberlain hielt schon den Kopf des Gegners gepackt und zerrte ihn zur Seite.
Mit einem dumpfen Geräusch brach das Genick des Mannes. Kimberlain zerrte ihn halbwegs in die noch geöffnete Kabine, so daß die Türen sich nicht mehr schließen konnten und der Fahrstuhl nicht mehr zu benutzen war. Dann lief er zur Treppe.
Zwei weitere Leibwächter warteten im Erdgeschoß, als sie die Schüsse vernahmen. Sie blickten sich an; nun bestand kein Zweifel mehr, daß Kimberlain sich bereits in dem Komplex aufhielt. Beide zogen die Waffen. Einer drückte auf den Fahrstuhlknopf, doch nichts geschah. Der Lift steckte irgendwo auf den unteren Etagen fest. Der andere deutete auf die Treppe, und sie setzten sich in Bewegung.
In völligem Schweigen stiegen sie Stockwerk um Stockwerk hinab; der erste ging voran, während der zweite den Rücken deckte. Als sie die dritte unterirdische Etage erreichten, stellten sie fest, daß die Treppenhaustür nicht geschlossen war. Die beiden Männer traten rechts und links neben die Tür und warteten. Dann nickten sie einander zu, und der erste sprang durch die Tür, zwei Sekunden später gefolgt vom zweiten, so daß der zweite bei einem möglichen Hinterhalt den Widersacher auf jeden Fall im Visier haben würde.
Aber da war niemand. Sie wollten schon zur nächsten unterirdischen Etage weiter, als sie beide gleichzeitig den Wachmann bemerkten, dessen Schüsse sie gehört hatten. Er lag halb in der Fahrstuhlkabine. Vorsichtig bewegten sie sich auf ihn zu. Als sie die Kabine erreicht hatten, wandte einer von ihnen den Rücken der geöffneten Tür zu, während der andere den Toten hinauszerrte, damit sie den Fahrstuhl wieder benutzen konnten.
Sie hatten die Leiche gerade hinausgezogen, als der Fährmann die Dachluke der Fahrstuhlkabine aufriß und den Rest des Magazins der Maschinenpistole des Toten in die beiden Männer unter ihm leerte. Dann ließ er sich wieder
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