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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
Autoren: Kai Meyer
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strich und liebkoset, so verändert er sich in eine andere Farb, als Braun, Weiß und Rot.«
    Es schien mir naheliegend, beide Figuren – Mephisto und den Teufelshund – in einer einzigen zu vereinen.
     
    Der Spreewald muß einst ein Paradies für Schlangen gewesen sein. Das weitverzweigte Netz der Kanäle und Flüsse, der feuchte Boden und die vielen Möglichkeiten zum Unterschlupf boten den Tieren ideale Lebensbedingungen. Wie nirgends sonst in Mitteleuropa schlängeln sie sich hier durch zahllose Märchen, Sagen und Legenden. Auch die Geschichte vom Schloß des Schlangenkönigs wird seit Jahrhunderten an den Kaminfeuern der Bauernhäuser erzählt, selbst heute noch, obgleich mittlerweile Fremdenführer in die Rolle der alten Geschichtenerzähler schlüpfen, und ihre Zuhörer längst keine staunenden Kinder mehr sind, sondern Tausende Touristen.
    Einst aber, als die Wälder noch idyllisch und nahezu unerschlossen waren, da soll das Schlangenschloß tatsächlich existiert haben – etwa dort, wo sich heute die Ortschaft Lübbenau befindet. Die Sage vom Förster, der sich an der Krone des Schlangenkönigs vergriff, entstammt dem Legendengut der Sorben, jenes slawischen Volksstammes, der sich im 6. bis 8. Jahrhundert im Spreewald ansiedelte. Spätere Generationen machten Teile des Waldlandes urbar und erschlossen das Netz der Wasserstraßen, immerhin 970 Kilometer lang. Eine ähnliche Landschaft gibt es kein weiteres Mal in Europa, und es wundert nicht, daß ihr bis ins 19. Jahrhundert der Hauch des Magischen, des Unheimlichen anhaftete.
    Der moderne Fremdenverkehr hat diesen Zauber zerstört. Elfen schlafen längst nicht mehr zwischen den Wurzeln der Bäume, und vom Schloß des Schlangenkönigs stehen nicht einmal mehr die Ruinen. Wahrscheinlich hat selbst der Nix, einst fester Bestandteil der sorbischen Sagen, sein angestammtes Heim in den Flüssen verlassen.
    Allein unter manchen Einheimischen lebt der Aberglauben weiter. Die Giebel der alten Spreewaldhöfe sind aus zwei gekreuzten Balken gezimmert – in der Form gekrönter Schlangen. Und manches Tor und mancher Zaun wird noch heute mit einer geschmiedeten Natter verziert, auf ihrem Kopf eine winzige Krone.
     
    Kai Meyer, Mai 1996
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