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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
Autoren: Kai Meyer
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verlangt.
    Schließlich sagte er müde: »Und wo soll ich beginnen?«
    »Wie wäre es mit Nicholas und dem Mädchen?«
    Faustus nickte. »Reitet weiter. Unterwegs will ich euch sagen, was ich weiß. Was ich zu wissen glaube. «
    Ich lenkte das Pferd herum und ließ es neben Angelina und Faustus einhertrotten.
    »Der Mann, den du im Kerker verbrennen sahst, war nicht Nicholas«, sagte mein Meister.
    »Nun, das dachte ich mir.«
    »Es war nicht einmal ein Mensch. Sag mir, woran glaubtest du zu erkennen, daß es sich um Nicholas handelte?«
    Ich dachte kurz nach. »An seinem gedrungenen Körper, den kurzen Beinen. Was meint Ihr damit, es war kein Mensch?«
    »Warte ab«, erwiderte Faustus, nun bereits ein wenig lebhafter. Jetzt würde er wieder den weisen, allwissenden Schwarzkünstler geben, eine Rolle, die er sogar vor Angelina und mir nie ganz ablegen konnte. »Als du vor dem Kerker standest, hat das Feuer bereits eine Weile gebrannt, nicht wahr?«
    »Ich sah kaum mehr als Flammen und die Umrisse des Toten.«
    »Dann denk nach: Wer aus unserer Gruppe war ähnlich gebeugt und kurzbeinig wie Nicholas?«
    Ich mußte nicht lange überlegen, die Antwort war klar: »Niemand, Herr.«
    »Falsch. Einen gab es: Sisyphos, Arianes Menschenaffen.«
    »Aber er verbrannte in den Trümmern des Gästehauses.«
    »Noch einmal falsch, Wagner. In den Ruinen sahen wir nur den Schädel des Gorillas und einen großen Haufen verbrannter und verstreuter Knochen. Tatsächlich waren sie aber nicht die Überreste des Affen. In Wahrheit standen wir vor den Knochen Adelfons Braumeisters, der zu diesem Zeitpunkt bereits verschwunden war. Nicholas muß seinen Leichnam verbrannt und seinen Kopf gegen den von Sisyphos ausgetauscht haben, um uns weiszumachen, der Affe sei in den Flammen umgekommen. In Wahrheit aber bewahrte er den Körper des Tieres auf, denn da wußte er längst, daß der Torso ihm noch gute Dienste leisten würde.«
    »Dann hat er seine eigene Verbrennung bereits so früh geplant?« fragte ich erstaunt.
    »Gewiß.« Faustus lächelte gönnerhaft, ein Zug, den ich keineswegs an ihm schätzte – ich muß nicht erwähnen, daß er ihm bis an sein Lebensende zu eigen blieb. »Auch der Mord an Walpurga vor unser aller Augen war Bestandteil seines Plans. Er hoffte, daß wir ihn einsperren würden. Seine Gefangenschaft wollte er nutzen, um uns allen weiszumachen, er sei bei lebendigem Leibe verbrannt. Eine bessere Maske als die eines Toten kann es für einen Mörder nicht geben. Er ließ dich, Wagner, von dem Zwilling in die Irre führen, um dich für eine Weile loszuwerden. Das Mädchen kehrte derweil zurück, löste die Kette, und Nicholas schaffte aus einem nahen Kellerraum den toten Affen herbei, den er zuvor dort versteckt hatte. Er setzte ihn in Brand, verschloß den Kerker und verbarg sich. Da seine Statur der des Tieres ähnlich war, wußte er, daß jedermann den verbrannten Affen bei oberflächlicher Betrachtung für ihn selbst halten mußte.«
    »Dann war es also auch Nicholas, der das Gästehaus anzündete.«
    Faustus bejahte. »Nicht, um euch beide zu töten, sondern vor allem, um Braumeisters Leichnam zu verbrennen. Das Feuer mußte auffällig genug sein, daß wir ihn finden würden.«
    Der Himmel über uns leuchtete in einem strahlenden Sommerblau, und wären die kühlen Brisen nicht gewesen, der Tag wäre warm geworden. So aber fröstelte ich trotz des herrlichen Wetters. Vielleicht lag es auch an der bösen Erinnerung.
    Faustus sah mich an. »Was glaubst du, wie es Nicholas gelang, den Tod des Zwillings vorzutäuschen?«
    Darüber hatte ich mir bereits Gedanken gemacht, und die Antwort war so einfach wie genial. »Nicholas schnitt einem der beiden Mädchen die Kehle durch und legte es in den Geheimgang, wo wir es entdeckten. Als wir uns nach der Bestattung auf die Suche nach dem zweiten Kind machten, zog er den Leichnam wieder aus der Gruft, trennte den Kopf vollständig ab und versteckte die Tote im Keller, so daß wir die dieselbe Leiche ein zweites Mal finden würden, dabei jedoch annehmen mußten, es handele sich um die Zwillingsschwester. Wir haben dasselbe Mädchen zweimal bestattet.«
    »So ist es«, sagte Faustus anerkennend. »Du hast nur einen einzigen Fehler gemacht. Nicholas war bei uns, während wir die oberen Stockwerke nach der zweiten Leiche absuchten. Das wiederum bedeutet, daß die Tote von ihrem eigenen Zwilling enthauptet wurde. Das Mädchen hat seine Schwester verstümmelt, allein weil Nicholas es ihr
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