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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
Autoren: Kai Meyer
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nebeneinander, rechts von uns am Ufer. In ihrem Schein war wieder die reglose Gestalt auf der anderen Seite zu sehen. Sie hatte sich nicht bewegt, und doch war noch immer nichts genaues zu erkennen. Es war fast, als blickte man durch feine Seidenschleier.
    »Jetzt kommt«, gebot uns Faustus leise und zog uns mit sich nach links, fort von den Fackeln und weit aus ihrem Lichtkreis.
    Gwen wollte offenbar beim Leichnam sitzen bleiben, deshalb lief ich zurück und zog sie auf die Beine. Sie ließ es geschehen wie jemand, der gerade aus tiefem Schlaf erwacht.
    »Er hat sie getötet«, murmelte sie kaum hörbar.
    Nicht zum ersten Mal, lag mir auf der Zunge, aber ich sprach die Bemerkung nicht aus.
    Es war klar, was Faustus vorhatte. Dadurch, daß auch wir plötzlich im Dunkeln standen verlor der Todesschütze seine Ziele. Jetzt konnte er nur noch blind ins Dunkel schießen, was uns lediglich seinen Standort verraten hätte. Oder aber er kam näher, um uns zu töten. Er war noch immer im Vorteil – vier Menschen machen mehr Lärm als ein einzelner –, und doch war es unsere einzige Möglichkeit. Wenn einer von uns ihn zu fassen bekam, konnten wir ihn besiegen.
    Ich bezweifelte jedoch, daß er dumm genug war, es darauf ankommen zu lassen.
    Faustus führte uns stumm am Ufer des Wassergrabens entlang und flüsterte schließlich, wir sollten uns setzen. »Wartet hier!« raunte er.
    »Was habt Ihr vor?« fragte ich.
    Er gab keine Antwort. Ich hörte nur, wie er davonschlich.
    Um uns war nun völlige Finsternis. Ich fühlte Gwen und Angelina neben mir, doch sehen konnte ich sie nicht. In weiter Ferne brannten die drei Fackeln am Boden.
    »Wo bist du?« schrie Faustus plötzlich.
    Wieder erhellte ein grellweißer Blitzschlag das Dunkel, so stark, daß ich die Lider zusammenkniff. Der Donner des Büchsenschusses dröhnte in meinen Ohren, vor meinen Augen sprangen bunte Funken auf und ab. Ich wartete auf einen Schmerzensschrei oder das Krachen eines getroffenen Körpers auf Stein, doch nichts dergleichen ertönte. Die Kugel hatte Faustus offenbar verfehlt.
    Der Mörder hatte in die Richtung gefeuert, aus der Faustus’ Stimme erklungen war. Später erfuhr ich, daß genau das der Plan meines Meisters gewesen war. Faustus war gleich nach seinem Ruf zur Seite gesprungen. Als der Schuß losging, wurde er davon nicht mehr überrascht und konnte so trotz der Helligkeit die Augen offenhalten. Dabei sah er, wo sein Gegner stand. Statt nun aber blindlings auf ihn zuzurennen und dabei die Gefahr einzugehen, daß der Mörder ihm im Dunkeln entkam, tat Faustus etwas anderes.
    Er lief so schnell er konnte zu einem Punkt der Halle, der sich auf einer Linie mit dem Mörder und den am Boden liegenden Fackeln befand. Sein Feind stand nun genau zwischen den Flammen und ihm selbst und war so für Faustus deutlich als schwarzer Umriß vor dem Feuer zu erkennen. Selbst wenn der Todesschütze sich jetzt zur Seite bewegte, mußte Faustus nur schnell genug seinen Standort verändern und die gerade Verbindung aufrechterhalten.
    Und während der Mörder sich weiterhin unsichtbar glaubte, schlich Faustus im Dunkeln längst auf ihn zu, langsam, aber zielstrebig. Er konnte jetzt sehen, wie sein Gegner sich mit dem Nachladen der Handbüchse abmühte. Fünfzehn Schritte trennten sie noch voneinander.
    Ich selbst ahnte zu jenem Zeitpunkt natürlich nichts vom Vorhaben meines Meisters. Statt dessen trieben mich Angst und Ungeduld zu einem eigenen Plan. Ich gab Gwen und Angelina flüsternd zu verstehen, daß sie sich nicht von der Stelle rühren sollten, und machte mich dann selbst auf den Weg. Eilig, aber so lautlos wie möglich, schlich ich auf die drei Fackeln zu.
    Faustus beobachtete, wie der Mörder die Waffe nachlud. Er stopfte Pulver in den Lauf und zog aus einer Tasche eine Stahlkugel. Faustus konnte ihn vor den Fackeln jetzt klar und deutlich erkennen. Er ahnte längst, um wen es sich bei dem Umriß handelte. Noch acht Schritte.
    Ich schlich derweil am Ufer des Wassergrabens entlang und näherte mich den Fackeln. Noch war ich außerhalb ihres Lichtkreises. Irgendwo rechts von mir raschelte etwas im Dunkeln. Das mochte ebensogut der Mörder wie auch Faustus sein. Ein metallisches Klacken ertönte – eine Kugel, die in den Lauf der Büchse rollte.
    Faustus sah, wie sein Gegner den Hahn der Waffe spannte. Das Knirschen war aus der Nähe nicht zu überhören. Noch vier, fünf Schritte, dann war er bei ihm. Hätte er loslaufen können, wäre das keine echte
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