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Der Clan der Wildkatzen

Der Clan der Wildkatzen

Titel: Der Clan der Wildkatzen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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1
    Ein Neuankömmling
    D as Nizamuddin-Viertel schlief, als in den stockfinsteren Stunden vor dem Morgengrauen der erste Ruf zu vernehmen war. Er war so leise, dass nur die Fledermäuse ihn hörten, die zwischen Kanal und Schrein ihre einsamen Bahnen zogen. Eine der Fledermäuse zwitscherte nervös, als die leisen, verängstigten Worte sie erreichten und in ihrem Kopf widerhallten: » Dunkel. Will zu meiner Mutter. Warum knurren die Hunde? Warum sagst du nichts? Es ist so dunkel hier.«
    Dann war wieder Ruhe, und bald hatte die Fledermaus vergessen, was sie gehört hatte. Doch als sie sich kopfüber in den Ruinen nahe dem Stufenbrunnen aufhängte und im hellen Tageslicht einschlief, träumte sie davon, durch die Dunkelheit gehetzt zu werden und in einem engen Raum den Raubtieren hilflos ausgeliefert zu sein.
    Kurz darauf folgte der zweite Ruf – gellte durch die Luft der Nach-Monsunzeit und erschreckte den Schwarzmilan Tooth, der seine Runden über dem großen Park im Zentrum von Nizamuddin drehte. » Mara hat Angst, lass mich runter! Wo ist meine Mutter hin? Wer bist du? Wo bringst du mich hin? Ich will nicht weg vom Abflussrohr! Du machst Mara Angst, du schrecklicher Großfuß!« Tooth legte die Flügel an, warf sich in einem gefährlich niedrigen Sturzflug über die Dächer und schüttelte den Kopf, um das Gefühl loszuwerden, dass ihn eine Katze mitten in der Luft anmiaute – leise zwar, aber dennoch so gut zu verstehen, dass sich die zarten Federn in seinem Innenohr sträubten. Das beunruhigte ihn, doch dann erspähte er mit seinen scharfen Augen eine Ratte, und die Jagd des Tages ging richtig los. Zu dem Zeitpunkt, als der Milan seine Beute erlegt hatte, war die eigenartige Nachricht längst vergessen.
    Danach blieb der Rufer stumm. Zu jener Stunde hielten sich in der Gegend keine anderen Hunde und Katzen auf, und das einzige andere Wesen, das die zweite Botschaft gehört hatte, war eine kleine braune Maus, die sich auf die Hinterbacken setzte und sich besorgt umschaute. Doch als sie keine Katzen oder Kätzchen entdeckte, setzte sie ihren Weg fort.
    Friedlich zogen die Tage dahin. Es war die glücklichste Zeit des Jahres für die Bewohner von Nizamuddin und der anderen Viertel von Delhi. Der Sommer war vorbei und das Lichterfest mit den bedrohlichen Feuerwerken und dem schrecklichen Donnerkrachen lag noch in weiter Ferne. Nach der Sommerhitze konnten die Katzen von Nizamuddin endlich wieder auf die Jagd gehen.
    Beraal freute sich über das mildere Wetter. Sie hatte den größten Teil des Sommers im Stufenbrunnen und zwischen den Schuttbergen eines verlassenen Gebäudes verbracht, in dem viele Katzen Schutz fanden. Die große Hitze in diesem Jahr hatte das Laub der Flammenbäume welken lassen und die roten Blüten der Kapokbäume ausgetrocknet, und die junge Katze hatte es vermisst, auf eine längere Tour zu gehen. Sie reckte sich, gähnte und schüttelte die Pfoten. Es war an der Zeit, eine kleine Wanderung zum Mausoleum zu unternehmen, um zu sehen, was die Katzen dort trieben.
    Im Park ging es lautstark zu, denn die Jungen der Großfüße aus der Nachbarschaft stritten sich beim Kricket, und die Milane weit oben über dem Platz taten es ihnen in den Baumgipfeln gleich. Beraal schlenderte hinüber zu dem Kuhstall mitten zwischen den Häusern der Großfüße und setzte sich auf die alte Ziegelmauer, um sich in Ruhe zu putzen. Die Fellpflege fiel bei ihr etwas intensiver aus als bei ihren Artgenossen: Beraal hatte langes schwarzweißes Fell, das sich, wenn es sauber war, seidig bis zu den Pfoten lockte, aber es zog trockene Blätter und sonstigen Schmutz magnetisch an.
    Sie hockte auf der Mauer und leckte an den klebrigen Spinnweben an ihrer Pfote, als die Luft um ihre Augen herum zu flirren und klirren begann. » Ach, wehe!«, sagte eine klare Stimme genau in ihr Ohr. » Mara ist so traurig! Mara ist ganz allein mit den Großfüßen! Die sind unheimlich und reden die ganze Zeit, und ich mag es gar nicht, wenn man mich hochhebt und auf den Kopf dreht!«
    Beraal verlor vor Schreck fast das Gleichgewicht und musste einen Purzelbaum machen, um nicht von der Mauer zu fallen, aber das sah auch nicht besonders elegant aus. Ihre Schnurrhaare sträubten sich, ihr Schwanz plusterte sich zur doppelten Größe auf, und mit wildem Blick fuhr sie auf der Mauer herum und suchte nach einer Katze. Es war aber keine zu sehen. Sie ignorierte die kleine braune Maus, die, ebenfalls erschrocken, aus ihrem Loch gehuscht kam. Das
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