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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
Autoren: Kai Meyer
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dort.«
    »Warum aber macht Ihr so ein Geheimnis aus einem Treffen mit alten Freunden?«
    Er zögerte einen Augenblick mit der Antwort. »Es sind keine Freunde«, sagte er dann.
    Als er keine Anstalten machte, weiterzusprechen, ließ ich mein Pferd mißmutig ein, zwei Schritte zurückfallen. Wieder hatte er mir einige Krumen hingeworfen, meinen Appetit auf mehr angeregt und ließ mich nun mit leerem Magen stehen. So war er, mein Meister. Manchmal fiel es schwer, ihn zu lieben.
    Schon nach kurzer Zeit überquerten wir die erste Wasserader. Eine knarrende Bohlenbrücke führte darüber hinweg. Ich blickte vom Pferd hinab auf die trübe Oberfläche und stellte mir vor, wie der Nix darunter seine Bahnen zog. Dann schalt ich mich einen Narren: Das Wasser war hier kaum einen Schritt tief; der Nix hätte ein wahrhaft winziger Geist sein müssen, um ungesehen auf dem Grund zu wandeln.
    Immer tiefer in die Wälder führte uns der Weg, über weitere Bäche und Flüsse hinweg, die wir mal über Brücken, mal durch schlammige Furten passierten. Der Wald selbst war nicht dunkel. Erlen, Eschen und Eichen standen weitverteilt und luftig, ihr Laubdach war keineswegs dicht. Dunkel war allein die anbrechende Nacht, die mit jedem unserer Schritte weiter über das Land kroch und mein Herz mit Beklemmung erfüllte. Ich wünschte mir, Faustus hätte nicht von giftigen Schlangen erzählt. Ich glaubte, sie überall in den Schatten zischen zu hören, glaubte zu sehen, wie sie sich wanden und drehten und ihre Köpfe mit den spitzen Zähnen an den Läufen meines Pferdes emporreckten.
    »Wollen wir nicht die Nacht über rasten, Meister?« fragte ich zaghaft.
    Faustus schüttelte den Kopf. »Für den, der den Weg kennt, ist es nicht weit bis zum Schloß, ganz gleich, von welcher Seite man die Wälder betritt.«
    Erwähnte ich schon, daß mein Meister nichts so sehr liebte wie den Hauch des Mysteriums, mit dem er sich umgab?
    So ritten wir weiter, schweigend, grübelnd. Der Tag war warm gewesen, heiß sogar, doch die Nacht verschlug mir den Atem mit drückender Schwüle. Wir erreichten ein neuerliches Ufer, das elfte oder zwölfte, als Faustus plötzlich an den Zügeln seines Pferdes riß. Mit einem erschrockenen Wiehern blieb es stehen. Auch wir anderen verharrten.
    Faustus starrte gebannt nach rechts. Meine Augen folgten seinem Blick.
    Eine schmale Gondel mit spitzem, hochgezogenem Bug und flachem Heck glitt lautlos über das schmale Gewässer. Sie war aus dunklem Holz und hob sich kaum von der Oberfläche ab. Das Wasser lag da wie ein Stück funkelnder Nachthimmel. Die Gondel entfernte sich langsam von uns und bog beinah im selben Augenblick, da ich sie entdeckte, um eine enge Flußbiegung. Ehe sie aber verschwand, besah ich mir den Mann, der aufrecht in ihrer Mitte stand. Er hatte uns den Rücken zugewandt und war vollkommen nackt. Sein heller Körper war schmal, beinahe knöchern. Ein fremdartiges Muster bedeckte seinen Rücken, aufgemalt oder eingestochen. Ich konnte nicht erkennen, was es darstellte. Er stand da mit leicht gespreizten Beinen und vor der Brust verschränkten Armen. Obgleich er die Gondel weder mit Ruder noch Stock nach vorne schob, entglitt sie meinen Blicken. Es gab keine Strömung; das Wasser schimmerte glatt und reglos, ein Spiegel aus schwarzem Glas. Mochte der Teufel wissen, was die Gondel vorwärtstrieb.
    Der Teufel – oder Faustus.
    »Wer war das, Herr?« fragte ich atemlos, nachdem der Unheimliche fort war. »Jemand, den Ihr kennt?«
    Faustus wandte sich nach mir um, doch sein Blick schien durch mich hindurchzusehen. Nachdenklich hob er die Schultern. »Mag sein, ich bin nicht sicher.«
    »War es der Wassergeist?«
    Da schmunzelte Faustus. »Nein, Wagner, der war es bestimmt nicht.«
    »Wer dann? Ihr habt doch einen Verdacht…«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte er leise, »nicht wirklich. Ich muß abwarten. Geduld, nur ein wenig Geduld.«
    Die letzten Worte hatte er mehr zu sich selbst als zu einem von uns gesprochen. Er klang, als beschäftigte etwas seine Gedanken, das keinerlei Ablenkung duldete. Er trieb sein Pferd an und trabte ans andere Ufer. Wieder blieb uns beiden nichts übrig, als einen mürrischen Blick zu wechseln und ihm zu folgen. Seine Geheimniskrämerei, seine ständige Schweigsamkeit zur falschen Zeit, entwickelte sich allmählich zur Belastung für uns alle. Wenn ich mich schon einer Gefahr aussetzte, dann war es mir lieber, ich wußte um ihre Natur. Die Ungewißheit aber machte alles nur noch
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