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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
Autoren: Kai Meyer
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waren über und über mit Blut und Erde beschmutzt. Wir stanken steinerweichend. Ich schaute mich suchend um, doch ein Bach oder Tümpel war in der weiten Graslandschaft nirgends zu entdecken. Wir würden wohl oder übel ungewaschen weiterreiten müssen. Mein Meister, kaum sauberer als wir, trieb sein Pferd voran, und wir folgten.
    Eine Weile lang sprach niemand ein Wort, dann aber fragte ich: »Es scheint keine Siedlung weit und breit zu geben. Wer hat den Mann dort aufgeknüpft?«
    »Wegelagerer«, erwiderte Faustus trocken.
    »Wegelagerer?« Entsetzt raste mein Blick über die Hügel. Doch da war niemand. Keine rauhen Gesellen, die uns ans Leben wollten. Keine Räuber, verborgen im hohen Gras. Schlichtweg keine Menschenseele.
    »Sie sind längst fort«, erklärte Faustus, nachdem er mein Erschrecken mit zufriedenem Lächeln ausgekostet hatte.
    »Was macht Euch da so sicher?«
    »Dazu braucht es wenig Spürsinn, lieber Wagner. Kaum ein Mensch reitet hier vorüber. Für gewöhnlich müßten sie Tage warten, bis ihnen jemand ins Netz ginge. Nein, sie haben ihr Opfer gefunden, und nun sind sie fort. Mag sein, daß sie sich in die Wälder zurückgezogen haben.«
    »Wälder?« fragte ich zweifelnd. Ringsum gab es nichts dergleichen.
    »Warte ab«, entgegnete mein Meister. »Hinter dem nächsten Hügel siehst du, was ich meine.«
    So war es in der Tat. Nach der Wegkehre öffnete sich vor unseren Augen ein weites Waldgebiet, hingestreckt von Horizont zu Horizont. Ein Ozean aus buschigem Grün und Braun, dampfend in der Glut der Sommersonne.
    Wie mancher Mensch trug auch der Spreewald in seinem Herz ein Geheimnis, verborgen, noch unsichtbar: Faustus’ Ziel.
    Das Schloß des Schlangenkönigs.
     
    ***
     
    Es begann einige Tage zuvor. Etwas geschah.
    Bis dahin war es unser Plan gewesen, den Weg nach Süden einzuschlagen und auf der Spur der Erleuchteten nach Rom zu reiten.
    Rom! Das bedeutete eine weite, aufregende Reise durch allerlei fremde Gebiete. Obgleich mich der Gedanke durchaus bange machte, so wollte ich mich doch der Herausforderung stellen. Ich wußte nicht, was Faustus plante, als er sagte, es gebe einen Mann im Vatikan, der uns – Angelinas Vergangenheit betreffend – weiterhelfen könne. Ihn gelte es aufzusuchen.
    Gewiß, ich dachte daran, wie gefährlich es sein mochte, dem Gegner in die Arme zu laufen, ja, ihn direkt in seiner Heimstatt aufzusuchen. Doch Faustus war guter Dinge und zerstreute meine Sorgen. Es gebe viele Besucher in den Hallen des Papstes, sagte er, drei mehr oder weniger würden dort nicht auffallen. All das klang, als sei er bereits dort gewesen, und als ich ihn fragte, bestätigte er meinen Verdacht. Natürlich ohne Näheres zu verraten, wie üblich.
    Dann aber kam alles ganz anders.
    Ohne daß Angelina oder ich es bemerkten, muß sich etwas ereignet haben, das Faustus umstimmte, buchstäblich über Nacht. Plötzlich bestand er darauf, statt nach Süden in östliche Richtung zu reiten. Man erwarte ihn dort, behauptete er und hüllte sich fortan in Schweigen.
    Diesmal jedoch bestand ich auf Erklärungen, da ich glaubte, Angelina verlieren zu müssen, wenn wir uns nicht wie versprochen nach Rom begaben. Sie schien mehr als begierig, den Ort, an dem sie all die Jahre über eingesperrt gewesen war, erneut aufzusuchen.
    Doch so sehr ich auf Einzelheiten über das Vorhaben meines Meisters drängte, desto schweigsamer wurde er. Unser Ziel sei der Spreewald, verriet er einsilbig, und darin die Ruine eines Schlosses. Die Menschen, die in den Wäldern lebten, raunten, einst habe dort der legendäre Schlangenkönig gehaust.
    Angelina fügte sich. Sie verriet keine Enttäuschung, erst recht keine Wut. Sie schien Faustus zu vertrauen, und zähneknirschend folgte ich ihrem Beispiel. Ich war nur ein Schüler, und was blieb mir schon, als dem Willen meines Meisters Folge zu leisten?
    Nach Osten, also.
    So näherten wir uns allmählich den Ausläufern des Waldes. Immer häufiger legten sich die Schatten der Erlen über unseren Weg, bis er schließlich zur Gänze in ihnen ertrank.
    »Dies ist ein merkwürdiges Land«, brach Faustus das Schweigen. Um uns rauschten die Bäume, raschelten Tiere im Unterholz. »Nirgendwo sonst in den Ländern diesseits des Mittelmeeres gibt es ein Gebiet wie dieses.«
    »Wie meint Ihr das, Herr?« fragte ich neugierig, wenngleich die Furcht vor den Wegelagerern mehr und mehr mein Denken beherrschte. Die Dämmerung brach an.
    »Die Wälder erstrecken sich über viele Meilen,
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